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Wir sind da! Teil 1

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Yaruya!“, singen die königlichen Bronzegießer aus Benin immer wieder, wenn sie mit einem traditionellen Lied bekunden, ihre Arbeit in den Dienst der Herrscher zu stellen. Ihre bronzenen Büsten in den Palastanlagen erinnern lange nach deren Tod an die Könige und Königinnen. Samson Ogiamien hat diese Form des Gedenkens vom Sockel der adeligen Herrscherhäuser geholt und sie in seine neue Heimat Graz gebracht. Ihm geht es um die Erinnerung an einfache Menschen wie Sofia, Lucky und Kennedy, die in Nigeria geboren und in Österreich verstorben sind.

Der Künstler Samson Ogiamien ist von der Kultur seiner afrikanischen Heimat ebenso geprägt wie von der europäischen Tradition der Moderne. Er wurde 1970 in Benin City in Nigeria geboren und gehört dem mythischen Herrscherhaus der Ogiamiens und der Gilde der königlichen Bronzegießer an.

Samson Ogiamien bei seinem Workshop in Graz, 2016, Foto: N. Lackner/UMJ
Samson Ogiamien bei seinem Workshop in Graz, 2016, Foto: N. Lackner/UMJ

Seine Ausbildung absolvierte er nicht nur in Benin, sondern auch in Graz, wo er heute arbeitet und lebt. Ogiamien existiert, wie andere Menschen die ihre Heimat verlassen haben, zwischen den Kulturen. Seine Identität ist eine doppelte und vielleicht auch umfassendere.

Im Dienste des Königs

Die Gilde der Bronzegießer hat ihren Ursprung im Königreich Benin, das in vorkolonialer Zeit eines der mächtigsten Reiche Afrikas war. Vor dem 12. Jahrhundert war es ein Zusammenschluss von autonomen Dorfeinheiten, die vom Ogiso – dem Himmelsherrscher – zusammengehalten wurden. Ab dem 12. Jahrhundert regierten Könige das Land absolutistisch und nannten sich Oba. Die Bronzegießer stellten ihre Arbeit über Jahrhunderte in den Dienst dieser Könige und übergaben ihnen ihre schöpferische Kraft als Künstler und Handwerker mittels eines rituellen Liedes. Im Refrain wird immer wieder das Wort Yaruya gesungen, was „Wir sind da“ bedeutet.

Projekt "Yaruya", Bronzegießerei, Benin City, Nigeria, Fotos: Stefanie Öttl
Projekt “Yaruya”, Bronzegießerei, Benin City, Nigeria, Fotos: Stefanie Öttl

Samson Ogiamiens Familie geht auf die mythische Ogiso-Dynastie zurück, weswegen er die streng reglementierte Arbeit des Bronzegießens ausüben darf. Auch wenn die Gilde heute nicht mehr ausschließlich für das Königshaus produziert, untersteht sie immer noch dem „Chief-Inneh“, dessen Amt erblich ist. Er verteilt als offizieller Auftragnehmer des Palastes die Arbeiten an die einzelnen Gießer und deren Werkstätten, in denen unterschiedliche Gegenstände, Schmuck, Ritualgeräte und vor allem Reliefplatten mit den Darstellungen der glorreichen Taten der Obas sowie deren weltberühmte Erinnerungsköpfe entstehen.

Weiter geht es bald in Teil 2.

OHA: Yaruya. Der Bildhauer Samson Ogiamien zwischen afrikanischer Tradition und europäischer Realität
Laufzeit: 05.05.–02.06.2016
Im Kunsthaus Graz, Lendkai 1, 8020 Graz
Eintritt frei!


Wir sind da! Teil 2

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Yaruya!“, singen die königlichen Bronzegießer aus Benin immer wieder, wenn sie mit einem traditionellen Lied bekunden, ihre Arbeit in den Dienst der Herrscher zu stellen. Ihre bronzenen Büsten in den Palastanlagen erinnern lange nach deren Tod an die Könige und Königinnen. Samson Ogiamien hat diese Form des Gedenkens vom Sockel der adeligen Herrscherhäuser geholt und sie in seine neue Heimat Graz gebracht. Ihm geht es um die Erinnerung an einfache Menschen wie Sofia, Lucky und Kennedy, die in Nigeria geboren und in Österreich verstorben sind.

Etwas in Bronze zu gießen heißt sich erinnern

Die bronzenen Porträtbüsten der Könige und Königinnen in Palastanlagen und Schreinen sind Teil einer ausgeprägten Erinnerungskultur. Der Gießvorgang der Köpfe lässt gewissermaßen die Zeit erstarren und gibt den Geschichten der Menschen eine fassbare Form. Sie erhalten die Verstorbenen dauerhaft präsent und dienen, ähnlich wie die gemalten Ahnengalerien in europäischen Herrscherhäusern, dem Gedenken an sie. Besonders deutlich wird die Bedeutung der Büsten in der im Königreich Benin gesprochenen Edo-Sprache. Das Wort „erinnern“ wird nämlich wörtlich mit „in Bronze gießen“ übersetzt.

Ausstellungsansicht "YARUYA", 2016, Kunsthaus Graz, Offenes Haus, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Ausstellungsansicht “YARUYA”, 2016,
Kunsthaus Graz, Offenes Haus, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Ogiamien hat diese Form des Erinnerns und Gedenkens an Verstorbene vom Sockel der Herrscherhäuser geholt und sie in seine neue Heimat Graz und die Lebensrealität hier lebender nigerianischer Landsleute transferiert. Bei seinem Projekt Agony of the Beloved geht es nicht um Könige und Königinnen, sondern um die Erinnerung an einfache Menschen. Menschen wie Sofia, Lucky und Kennedy, die vor geraumer Zeit aus Nigeria emigriert sind und in Graz eine neue Heimat gefunden haben, wo ihr Leben schließlich zu Ende ging. Ogiamien erinnert mit Büsten dieser drei Leute nicht nur an ihre Körper, sondern setzt ihren Erfahrungen, Hoffnungen, Träumen und Schicksalen ein Denkmal.

In drei Filmen sprechen Angehörige und Freundinnen und Freunde über Sofia, Lucky und Kennedy. Samson Ogiamien, "Kennedy", aus "Agony of the Beloved", 2010, Videostill Courtesy Samson Ogiamien
In drei Filmen sprechen Angehörige und Freundinnen und Freunde über Sofia, Lucky und Kennedy. Samson Ogiamien, “Kennedy”, aus “Agony of the Beloved”, 2010, Videostill
Courtesy Samson Ogiamien

Mit Sofias, Luckys und Kennedys Gedenkbüsten ritualisiert Ogiamien den Tod einfacher Menschen auf die gleiche Art wie den eines Königs. In diesem Demokratisierungs- und Öffnungsprozess ist nicht mehr der Stand eines Menschen dafür verantwortlich, ob man sich an ihn erinnert. Ogiamien gibt seinen Landsleuten mit seiner Kunst die verdiente Würde als Individuen in einem sozialen Zusammenhang zurück und weist sie durch den rituellen Kontext der Bronzebüsten als bedeutsam aus.

Die rituelle Bekundung „Yaruya“ erhält mit Ogiamiens Arbeit eine neue Bedeutung. Sie wird zum hörbaren Zeichen derer, die nach Österreich gekommen und als Tote hier geblieben sind und zeugt von der Suche nach einer Identität zwischen zwei Kulturen.

OHA: Yaruya. Der Bildhauer Samson Ogiamien zwischen afrikanischer Tradition und europäischer Realität
Laufzeit: 05.05.–02.06.2016
Im Kunsthaus Graz, Lendkai 1, 8020 Graz
Eintritt frei!

Von Drachen und Einhörnern

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Der Tierschwerpunkt im Universalmuseum Joanneum war am Blog schon öfters Thema. Im Schloss Eggenberg wurde am 12. Mai 2016 eine Sonderausstellung rund um fantasievolle Geschöpfe eröffnet, die alten Mythen entspringen und noch immer unsere Fantasie beflügeln. Wundertiere. 1 Horn und 100 Augen lässt Kinder und Erwachsene in die Welt der feuerspeienden Drachen, giftigen Basilisken, verführerischen Sirenen und scheuen Einhörner eintauchen.

Die Ausstellung Wundertiere. 1 Horn und 100 Augen ist bereits die dritte Schau zum diesjährigen Tierschwerpunkt: Nach Der Wolf im Jagdmuseum Schloss Stainz und Kröten, Schlangen & Co. In unseren Gärten, aber wo? im Naturkundemuseum richtet sich die Eggenberger Sonderausstellung aber an ein ganz besonderes Publikum.

Foto: N. Lackner/universalmuseum Joanneum
Foto: N. Lackner/universalmuseum Joanneum

Eine Ausstellung für Kinder

Das gab es noch nie – eine Ausstellung speziell für Kinder! Die Mitarbeiter/innen der Vermittlung lassen sich zwar immer wieder spannende Programme für jüngere Museumsbesucher/innen einfallen, aber bei Wundertiere. 1 Horn und 100 Augen stehen die Kinder zum ersten Mal im Mittelpunkt.

Foto: N. Lackner/Universalmuseum Joanneum
Foto: N. Lackner/Universalmuseum Joanneum

Vom Thema über die inhaltliche Aufbereitung bis hin zur Höhe der einzelnen Stationen wurden alle Einzelheiten dieser Schau auf das junge Publikum abgestimmt. „Wir haben in drei Workshops mit mehr als 30 Mädchen und Buben zusammengearbeitet, die eine Fülle von Ideen und Wünschen eingebracht haben“, erklärt die Kuratorin Barbara Kaiser.

Aber auch den Erwachsenen dürfte nicht langweilig werden. Das umfangreiche Begleitheft, das zur freien Entnahme aufliegt, dient als spannender „Reiseführer“ durch die vier Reiche der Wundertiere, in dem sie selbst schmökern oder Kindern daraus vorlesen können.

Wie fühlt sich ein Einhorn an?

Die Ausstellung ist nach den vier Elementen Erde, Feuer, Wasser und Luft gegliedert. Jedes dieser Reiche wird von anderen Wesen bevölkert. Neben den Ausstellungsobjekten gibt es mehrere Stationen, bei denen Kinder die Wundertiere anschauen, riechen und ertasten können.

Wundertiere-Eggenberg-20
„Berühren verboten?“ Nicht in dieser Ausstellung!, Foto: N.Lackner/Universalmuseum Joanneum

Außerdem können Kinder die Mythen der Wundertiere mit Kopfhörern nachhören. Bei den Hörstationen liegen zusätzlich digitalisierte barocke Bücher und Geschichten auf, die während des Zuhörens zum Lesen einladen. Bei der Eröffnung stellten der Autor Heinz Janisch und die Künstlerin Luise Kloos außerdem das Buch zur Ausstellung vor, das ebenfalls in Zusammenarbeit mit Kindern entstand. Mit ihrem Buch Wundertiere. 1 Horn und 100 Augen können die Besucher/innen die mythischen Kreaturen und ihre Geschichten mit nach Hause nehmen und sich weiter damit beschäftigen. „Es war uns ein großes Anliegen, Kinder mit den Wundertieren zum Kreativwerden anzuregen. Wenn sie aus der Ausstellung kommen, sollen sie selbst Wesen zeichnen oder Geschichten über sie schreiben wollen“, meint Kloos.

Rund um die Ausstellung

Das Rahmenprogramm für Kinder und Familien orientiert sich ebenfalls an den vier Elementen und soll unter anderem in einem eigenen, von den kleinen Besucherinnen und Besuchern gestalteten „Schloss der Wundertiere“ gipfeln. Mit dem Sammelpass „Wundertiere entdecken“ können Kinder mit bis zu zwei Begleitpersonen nach dem ersten Besuch der Ausstellung noch drei weitere Male eine Veranstaltung nach Wahl besuchen. Am Ende der Saison wird die Finissage der Ausstellung mit einem gemeinsamen Fest begangen, bei dem die Preisträger/innen des Gewinnspiels gekürt werden und das bunte Kartonschloss der Wundertiere präsentiert wird.

Wundertiere. 1 Horn und 100 Augen
Schloss Eggenberg, Eggenberger Allee 90, 8020 Graz
Bis 30. Oktober 2016

Wundertiere – das Buch zur Ausstellung

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Die Sonderausstellung Wundertiere. 1 Horn und 100 Augen ist die erste Schau speziell für Kinder und entführt im Schloss Eggenberg in die Welt der Einhörner, Drachen und Basilisken. Heute wollen wir euch das Buch zur Ausstellung vorstellen, in dem spannende Rätsel, Gedichte, Geschichten und Bilder zum Träumen anregen.

Wer nach dem Besuch der Ausstellung Wundertiere. 1 Horn und 100 Augen im Schloss Eggenberg noch nicht genug von den fabelhaften Wesen hat, kann sie dank dem gleichnamigen Buch von Heinz Janisch, Luise Kloos und Barbara Kaiser gleich mit nach Hause nehmen.

Foto: N. Lackner/UMJ
Foto: N. Lackner/UMJ

Neben den Texten von Janisch und den Illustrationen von Kloos finden sich darin auch Gedichte, Rätsel und Zeichnungen jener Kinder, mit denen die Ausstellung erarbeitet wurde. Als kleinen Vorgeschmack auf das Buch Wundertiere – 1 Horn und 100 Augen stellen wir euch folgenden Text von Leonie M. vor, die ihre ganz persönliche Antwort auf eine Frage gefunden hat, über die sicher schon viele von euch nachgedacht haben:

Katze

Warum schnurren Katzen?

Weil sie einen Motor eingebaut haben!

Wenn man die Katzen streichelt,

geht der Motor an!

Das Buch

Wundertiere. 1 Horn und 100 Augen
ISBN 978-3-90209-582-4
Erhältlich im Shop von
Schloss Eggenberg und bestellbar im Kunsthaus Graz und Joanneumsviertel.

Die Ausstellung

Wundertiere. 1 Horn und 100 Augen
Schloss Eggenberg, Eggenberger Allee 90, 8020 Graz
Bis 30. Oktober 2016

Der Körper als Quelle aller Freude, allen Leids und aller Wahrheit

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Am Mittwoch wurde die Ausstellung Bittersüße Transformation. Alina Szapocznikow, Kateřina Vincourová und Camille Henrot im Kunsthaus Graz eröffnet. Im Mittelpunkt steht der skulpturale Dialog dreier Künstlerinnen aus unterschiedlichen Generationen über den menschlichen Körper.

In der Ausstellung Bittersüße Transformation geht es um einen vielschichtigen Dialog, der zwischen den Werken der drei Künstlerinnen Alina Szapocznikow, Kateřina Vincourová und Camille Henrot entsteht. Obwohl die Arbeiten der aus fast drei Generationen stammenden Frauen sich stark voneinander unterscheiden, lässt sich eine innere Verwandtschaft im Thema des Körpers feststellen. Dieser dient als Erfahrungs- und Repräsentationsort, an dem das Fetischhafte, die Ware, das surreale Instinktive und Intime sich im Prozess des skulpturalen Schaffens manifestiert. Bei der Eröffnung letzten Mittwoch wies die Kuratorin Katrin Bucher Trantow auf die Wichtigkeit dieser besonderen Schau hin: „Ich bin stolz auf diese Ausstellung, weil sie einen geschichtlichen Bogen über Generationen hinweg spannt und dazu beiträgt, weiblichen Positionen in der Kunst eine Stimme zu geben.“

Kuratorin Katrin Bucher Trantow mit Künstlerin Kateřina Vincourová, 2016, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Kuratorin Katrin Bucher Trantow mit Künstlerin Kateřina Vincourová, 2016, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Ausgangspunkt der Ausstellung sind die Arbeiten von Alina Szapocznikow . Die 1926 geborene polnische Künstlerin, deren Werk in den Jahren nach ihrem Tod im Jahr 1973 von der Kunstgeschichte geradezu verschwiegen wurde, gilt heute als eine der bedeutendsten Bildhauerinnen der Nachkriegszeit. Die Holocaust-Überlebende setzte sich in besonders kraftvoller und energiegeladener Weise mit dem Zusammenspiel zwischen dem Bild einer surrealen Sinnlichkeit und der existenziellen Vergänglichkeit des Materials auseinander.

„Meine Geste richtet sich auf den menschlichen Körper. Jene ,absolute und erogene Zone‘, an ihre undeutlichsten und flüchtigsten Gefühle. […] Meine Arbeit ist schwierig, denn ein Gefühl, das auf sehr unmittelbare und undeutliche Weise empfunden wird, widersetzt sich häufig der Identifikation. Oft ist alles vermischt, die Situation ist mehrdeutig, und Grenzen sind verwischt. Und trotzdem versuche ich die Spuren unseres Körpers in Harz festzuhalten: Von all den Manifestationen des Flüchtigen ist der menschliche Körper die verletzlichste, die einzige Quelle aller Freude, allen Leids und aller Wahrheit.“ Alina Szapocznikow, 1972

Ihre Arbeiten beginnen mit den Werken der beiden jüngeren Künstlerinnen ein fiktives Gespräch über das Spiel der Gegensätze: Zwischen Anziehung und Abstoßung, zwischen den Geschlechtern, zwischen der schaffenden Hand der Künstlerin und den Produktionsprozessen, aber auch zwischen Eros und Thanatos (also zwischen Liebe und Tod) eröffnet sich ein Spannungsfeld der Urtriebe Lust und Sehnsucht.

Ausstellungsansicht, Bittersüße Transformation, 2016, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Ausstellungsansicht, Bittersüße Transformation, 2016, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Die Französin Camille Henrot (geb. 1978), die seit der Verleihung des Silbernen Löwen im Rahmen der Biennale von Venedig 2013 einem breiten Publikum bekannt ist, bringt filmische und grafische Arbeiten in diesen Dialog ein und versetzt Zuseherinnen und Zuseher in einen Taumel der Dinge, der inmitten von spirituellen, wissenschaftlichen, mythischen und historischen Erzählungen entfacht wird. Die plastischen Werke der Tschechin Kateřina Vincourová (geb. 1968) regen hingegen zum Nachdenken über die Intimität zwischen Körpern und Dingen an, deren Bedeutung sich in einer forschenden Auseinandersetzung mit der Welt der Ware offenbart. Ihre installativen Arbeiten thematisieren das eingeschriebene, vererbte und versteckte Wissen von Produkten und Dingen, denen in unserer Kultur Passivität und Objektivität zugeschrieben werden, die sie aber als Mitakteure entlarvt. Bei allen drei Künstlerinnen wird der Prozess der Transformation zu einer erotischen Quelle des Schaffens und Sehens.

Bittersüße Transformation. Alina Szapocznikow, Kateřina Vincourová und Camille Henrot
Laufzeit: 26.05.–28.08.2016
Katalogpräsentation: 28.06.2016, 18 Uhr, im Kunsthaus Graz

Mehr zu den einzelnen Künstlerinnen gibt es bald hier am Blog zu lesen!

Die Verbindung zwischen Produkt und Körper

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Die Werke der tschechischen Künstlerin Kateřina Vincourová sind aktuell in der Ausstellung Bittersüße Transformation. Alina Szapocznikow, Kateřina Vincourová und Camille Henrot im Kunsthaus Graz zu sehen. Im Interview spricht sie über ihr Verhältnis zu den zwei anderen Künstlerinnen der Schau und den Dialog, den ihre Kunst mit den Besucherinnen und Besuchern eingehen soll.

Sind Sie vor Bittersüße Transformation. Alina Szapocznikow, Kateřina Vincourová und Camille Henrot bereits mit den beiden anderen Künstlerinnen in Kontakt gekommen?

Zwischen Alina Szapocznikow, Camille Henrot und mir liegt je eine Generation, also nicht wirklich. Alinas Werke kenne ich erst seit etwa zwei Jahren. Camilles Arbeiten sind sehr aktuell, die habe ich schon öfter gesehen. Persönlich gekannt habe ich sie aber nicht. Es war die Entscheidung der Kuratorin Katrin Bucher Trantow, uns drei zusammenzubringen.

Torso Ausstellungsansicht, Bittersüße Transformation, 2016, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Torso, Ausstellungsansicht, Bittersüße Transformation, 2016, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Sehen Sie Verbindungen zwischen Ihren Arbeiten, einen gemeinsamen Kontext?

Es ist interessant, die Ausstellung fertig aufgebaut zu sehen, denn jetzt kann ich die Verbindungen sehen. Ich habe das Gefühl, dass da etwas Gemeinsames ist – eine Art Dekadenz und Erotik. Ich denke wir haben die Kraft, etwas auf unsere eigene Art zu machen. Diese Art der Kreativität verbindet uns.

In Ihren Werken erscheinen Produkte keineswegs passiv. Wie werden Objekte bei Ihnen zu Mitakteuren?

Meine Kunst „attackiert“ die Besucherinnen und Besucher visuell, ruft direkte Gefühle hervor und weckt emotionale Reaktionen durch das Spiel mit den Materialien. Ich benutze Materialien, die man kennt, die man benutzt oder mit denen man arbeitet. Ich finde in Secondhand-Läden oder im Müll Dinge, die uns nicht gleich an Kunst denken lassen. Sie kommunizieren auf ihre Weise bereits, weil wir sie in einem anderen Kontext kennen. Wir wissen, wofür sie produziert wurden und wie oder wofür sie benutzt werden. Ich nutze gerne Stretch-Stoff und Unterwäsche, also Dinge, die sehr intim und nahe an unserem Körper sind. Die Geschichte des Materials muss ich nicht erklären, weil wir sie bereits verinnerlicht haben. Stattdessen fange ich sie ein und verknüpfe sie auf andere Weise zu einer neuen Geschichte. Ich verbinde die Materialien wie Moleküle oder Baumaterialien, so wie ein Architekt Baustoffe benutzt. Man sieht den Gegenstand, aber nicht das Ende seiner Geschichte, weil es kein Ende gibt. Gewisse Materialien können wachsen, wenn man ihnen immer wieder etwas hinzufügt. Damit ist eine gewisse Art der Gefahr verbunden, weil dieser Prozess nicht kontrollierbar ist. Auf eine abstrakte Art und Weise natürlich – in unserer Fantasie.

Kateřina Vincourová im Kunsthaus Graz, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Kateřina Vincourová im Kunsthaus Graz, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Wie gehen Mensch und Produkt in Ihren Arbeiten eine Beziehung ein?

Ich interessiere mich für den Körper, aber will nicht einfach nur einen Körper zeigen. Darum benutze ich Objekte, die wir tragen oder oft berühren. Durch diese Intimität werden sie fast zu einem Teil unseres Körpers oder sehen wie Teile davon aus. Gegenstände dienen einem speziellen Zweck, aber ihre ganze Geschichte sehen wir auf den ersten Blick nicht. Für die Skulptur Torso habe ich zum Beispiel die Stiele von Äxten verwendet. Die Holzstiele sind ergonomisch geformt und so gebaut, dass sie gut in unserer Hand liegen. Sie haben etwas Anatomisches an sich und erinnern sehr an Knochen. Das stellt eine Verbindung zwischen Produkt und Körper her.

Blue Drop Ausstellungsansicht, Bittersüße Transformation, 2016, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Blue Drop, Ausstellungsansicht, Bittersüße Transformation, 2016,
Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Sie haben vorher noch letzte Korrekturen an einem Ihrer Blue Drops vorgenommen. Worum geht es dabei?

Ich habe mehrere Drops gefertigt, dieses Mal stelle ich aber nur einen aus. Alle demonstrieren Tropfen, ihre Form, ihre Farbe und alles, was sich in ihnen befindet – all die Geschichten. Mich hat diese alltägliche normale Form und das, was wir über sie wissen, interessiert. Es kann sich dabei um Tränen oder Regentropfen handeln und damit stecken verschiedene Bedeutungen in ihr. Aus diesem Grund ist es nicht notwendig, immer mehrere Drops auszustellen. Durch die Anordnung kann man die Geschichte aber in andere Richtungen lenken. Dieses Mal habe ich einen benutzt, weil es mir so gefiel. Das Kunsthaus Graz hat eine spezielle Architektur, der ich mit meiner Kunst gefolgt bin und die ich mit meiner Arbeit in Verbindung treten lasse. Ein Drop war einfach ideal für diese Ausstellungsfläche.

Die Texte für Ihren Katalog stammen von der Kunsthistorikerin Martina Pachmanová, die sich intensiv mit Geschlechterthemen und Feminismus in moderner Kunst auseinandersetzt. Wie verlief die Zusammenarbeit?

Meine Kollegin Martina Pachmanová ist sehr gut darin, über Kunst zu schreiben und kennt mein gesamtes Werk von Anfang an. Wir stammen aus der gleichen Generation und haben in den letzten vier Jahren begonnen, intensiv miteinander zu arbeiten. Ich mag die Art, wie sie mit meiner Kunst umgeht. Sie interessiert sich sehr für weibliche Kunst und versteht viel davon. Mir persönlich ist dieser Aspekt nicht so wichtig, aber im Gesamtbild ist er das natürlich, weil es sich um ein universell relevantes Thema handelt. Nächsten Monat werden wir den Ausstellungskatalog präsentieren und mit Katrin Bucher Trantow über die Ausstellung diskutieren.

Bittersüße Transformation. Alina Szapocznikow, Kateřina Vincourová und Camille Henrot
Laufzeit: 26.05.–28.08.2016
Katalogpräsentation: 28.06.2016, 18 Uhr, im Kunsthaus Graz

Neue Fundstücke im Rosegger-Museum Krieglach zu sehen!

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Die Dauerausstellung im ehemaligen Sommerhaus von Peter Rosegger zeigt authentische Einblicke in den privaten Lebensstil des steirischen Schriftstellers. Kürzlich restaurierte Fundstücke aus dem Sammlungsbestand erweitern nun den Ausstellungsparcours – in einer kleinen Blog-Serie erzählen wir, was wir über diese Objekte herausgefunden haben!

Zwei alte Reisetruhen, die wir auf dem Dachboden des Rosegger-Museums entdeckt haben, inspirierten uns dazu, die bestehende Ausstellung thematisch zu erweitern: Die offensichtlich intensiv genutzten Truhen erinnern an die rege Reisetätigkeit Roseggers, auf die nun in einem eigenen Raum eingegangen wird. Zeit seines Lebens war Peter Rosegger ein überaus eifriger Fußgeher: Seine ersten größeren Wanderungen als Kind waren Wallfahrten, und als Störschneider wanderte er oft 14 bis 16 Stunden täglich, ohne Müdigkeit oder Erschöpfung zu zeigen. Die dazu erforderliche Kondition lässt das Bild des körperlich schwachen und kränklichen Knaben und jungen Mannes in einem etwas anderen Licht erscheinen! In reiferem Alter unternahm Rosegger regelmäßig Bergwanderungen, aber auch zahlreiche Vorlesereisen im gesamten deutschen Sprachraum.

Mit der Südbahn unterwegs

Die Sommermonate verbrachte Peter Rosegger mit seiner Familie im Landhaus in Krieglach, das er 1877 nach seinen Vorstellungen erbauen ließ und das heute das Rosegger-Museum beheimatet. Die beiden Reisetruhen vom Dachboden des Hauses tragen noch lesbare Spuren und verraten uns, dass sie für Eisenbahnfahrten genutzt wurden: Beklebezettel der Südbahn geben zumindest teilweise noch Auskunft über Jahreszahlen, Reiseklasse sowie Abfahrts- und Zielort.

Peter Roseggers gelbe Truhe, Foto: UMJ
Peter Roseggers gelbe Truhe, Foto: Jasmin Abfalter/UMJ

Beide Truhen sind aus Holz gefertigt und mit Stoff bespannt. Die Deckel sind gewölbt, was sie eigentlich als Kutschentruhen ausweist. Solche Truhen waren normalerweise für den Außentransport konzipiert, denn durch die Wölbung des Deckels konnte Regenwasser ablaufen. Reisetruhen für die Eisenbahn wurden in Waggons transportiert und benötigten daher keine gewölbten Deckel mehr. Durch die geraden Deckel waren sie auch leichter zu stapeln.

Wem gehörte welche Truhe?

Nach fachgerechter Konservierung und Restaurierung der beiden Objekte durch Jasmin Abfalter wurden weitere Details sichtbar, die es nun möglich machen, die Truhen konkreten Personen innerhalb der Familie zu zuordnen:

Peter Rosegger reiste immer früher – sobald das Wetter milder wurde – in die Waldheimat, seine Frau Anna kam mit den Kindern erst zu Ferienbeginn nach Krieglach. Dieser „Zeitplan“ legt gemeinsam mit den Angaben auf den Beklebezetteln nahe, dass die „rote Truhe“ Anna Rosegger zugeordnet werden kann – der Zettel verweist auf eine Reise von Graz nach Krieglach im Juli 1909. Weiters befinden sich auf einer Seite der „roten Truhe“ die Buchstaben „A. R.“ Der Zettel auf der anderen, „gelben Truhe“ verweist hingegen auf eine Bahnfahrt im Juni 1908 und wäre demnach Peter Rosegger selbst zu zuordnen.

Foto: Jasmin Abfalter/UMJ Foto: Jasmin Abfalter/UMJ Foto: Jasmin Abfalter/UMJ Foto: Jasmin Abfalter/UMJ Foto: Jasmin Abfalter/UMJ

Neugierig geworden? Bei einem Ausflug nach Krieglach kann man im Rosegger-Museum die beiden Truhen und noch weitere „Fundstücke“ in Augenschein nehmen, von denen wir im nächsten Monat ein weiteres hier vorstellen werden!

Text: Bianca Russ-Panhofer

Kriesches vielschichtiges Werk in der Neuen Galerie Graz

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Gestern wurde in der Neuen Galerie Graz die Schau medienblock-richard-kriesche eröffnet, die nun bis 2. Oktober 2016 zu sehen ist. Die Sonderausstellung wirft einen vielschichtigen Blick auf das Werk des national und international bekannten Künstlers Richard Kriesche. In den 1960er-Jahren gehörte er jener Avantgarde an, die den klassischen Kunstbegriff ablehnte und sich neuen Medien, wie Video oder Audio, und der Digitalisierung widmete. Auch in der aktuellen Ausstellung ist die Technologie allgegenwärtig – nicht nur in seinen Werken, sondern auch in Form von QR-Codes, die weiterführende Informationen zur den einzelnen Werken liefern und auf die Projektwebseite www.medienblock-richard-kriesche.at verweisen.

Kurator Günther Holler-Schuster und Richard Kriesche, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Kurator Günther Holler-Schuster mit Richard Kriesche (r.), Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Bei der Eröffnung meinte der Künstler:

Ich stellte mir schon früh die Frage, wie die Medien unsere Gesellschaft transformieren und welche sozialen, politischen oder wissenschaftlichen Konsequenzen das mit sich bringt.

Damit nahm er ein heute besonders aktuelles Thema vorweg. Die Personale spannt einen Bogen von Kriesches frühen Werken bis hin zu aktuellen Arbeiten. Im Zuge der Ausstellung wurde die Neue Galerie Graz großzügigerweise mit 21 Arbeiten vom Künstler beschenkt.

Ausstellungsansicht "medienblock-richard-kriesche", Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Ausstellungsansicht “medienblock-richard-kriesche”, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Obwohl der Titel der Ausstellung vermuten lässt, dass vordergründig Medienarbeiten zu sehen sind, konnte aus dem reichen Fundus an Kunstwerken und Relikten geschöpft werden: Manifeste, Skizzen, Dokumentarfotos, Plakate, Prospekte und wichtige Presseausschnitte werden neben Kriesches Werken präsentiert. Kurator Günther Holler-Schuster betonte, dass sich aus dem ursprünglichen Entfernen vom klassischen Bild und der Hinwendung zur Videokunst auch bald ein sozialer Aspekt herauskristallisierte. Kriesche widmete sich z. B. Randgruppen, wie Menschen in Kinder- oder Altenheimen oder Inhaftierten in der Karlau, und beleuchtete ihre Schicksale mithilfe der Videokunst. Weitere Aspekte in seinem künstlerischen Spektrum bildeten Wissenschaft und Technologie, deren Methoden er aufgriff und für seine Kunst nützte.

Mehr Bilder gibt’s auf flickr

medienblock-richard-kriesche
Neue Galerie Graz, Joanneumsviertel, 8010 Graz
Laufzeit: 03.06.-02.10.2016


Vom Hochmut bis zur Faulheit, Wunder Tier Teil 3

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Hochmut, Neid, Zorn, Unzucht, Völlerei, Geiz und Faulheit… menschliche Laster waren vor allem in der Renaissance und im Barock ein sehr beliebtes Thema in der Kunst. In Heinrich Aldegrevers „Lasterzyklus“ fordert die überbordende Tiersymbolik die Betrachtenden ganz schön heraus. Neugierige können sich selbst ein Bild machen –  noch bis 12. Juni in der Graphikvitrine der Alten Galerie.

Die Graphikvitrine der Dauerausstellung in der Alten Galerie ist derzeit mit dem „Lasterzyklus“ von Heinrich Aldegrever (1502–1555 bis 1561) bestückt. 28 Tiere mit unterschiedlichsten Bedeutungen werden hier auf 7 kleinen graphischen Blättern dargestellt – sie machen das Betrachten der Werke zu einem Rätselspiel, das viel Geduld erfordert und auch eine Lupe zweckmäßig macht.

Hochmut

Der Hochmut wird bereits im Alten Testament als aller Laster Anfang bezeichnet (Jesus Sirach 10, 15) und kommt bekanntlich vor dem Fall (Sprüche 16, 18). Immer wieder werden demselben Tier symbolisch sowohl positive als auch negative Eigenschaften zugeschrieben:

Löwe und Adler sind typische Machtsymbole und werden gerne für Wappen verwendet. Steht der Löwe normalerweise für Stärke und Herrschaft, so ist in diesem Fall die Ausnützung derselben gemeint. Ebenso ist der Adler auf der Fahne zu verstehen, der aber auch auf Alexanders Greifenfahrt hinweisen kann: Alexander der Große wollte der Legende nach in den Himmel aufsteigen, um sich dort umzusehen. Dafür konstruierte er eine eigene Trage und spannte darauf Adler (oder Greifen), die ihn in die Lüfte heben sollten. Im Himmel erschien ihm ein geflügeltes Wesen, das ihn rügte, sich anzumaßen, in die Götterwelt aufsteigen zu wollen und zwang ihn zur Umkehr. Daher galt das Motiv im Mittelalter als Sinnbild für den Hochmut. Der Pfau über der Helmzier ist allgemein bekannt als Symbol der Eitelkeit und des Übermuts. Prekär ist hier Aldegrevers eindeutige Anspielung auf den Papst und damit auf die katholische Kirche in Form der Tiara, welche die Personifikation trägt. Diese reitet auf einem sich aufbäumenden Pferd, was wiederum ein Hinweis auf den Hochmut ist, da er „hoch zu Ross“ daherkommt.

Heinrich Aldegrever: Der Hochmut 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Heinrich Aldegrever: Der Hochmut 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Neid

Der personifizierte Neid reitet auf einem stacheligen Mischwesen mit schlangenähnlichem Schwanz, bulligem Körper und zotteligem, hundsähnlichem Kopf. Alles Stachelige wie auch der Giftstachel des Skorpions deutet den Stich des Neides im Träger selbst, aber auch in seinem Gegenüber an, auf das er neidisch ist. Die Schlangen – seit dem Sündenfall Sinnbild der Verführung, des Bösen und des Teufels – verkörpern die schlechten, Gift versprühenden Gedanken des Neides. Die Fledermaus wurde ob ihrer Nachtaktivität eher den dunklen Mächten zugeschrieben. Leonardo da Vinci verglich die Flucht der Fledermaus vor dem Licht mit jener des Lasters vor der Tugend.

Heinrich Aldegrever: Der Neid 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Heinrich Aldegrever: Der Neid 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Zorn

Der Zorn des Bären geht auf Sinnbilder in der Bibel zurück: Wie ein Krieger, dem sein Land oder Hab und Gut geraubt wird, wird auch eine Bärin im Wald zornig, wenn ihr die Jungen genommen werden (2. Sam. 17,8). Der Wiedehopf steht im Alten Testament auf der Liste der unreinen Tiere, weil er mit Vorliebe Würmer und Insekten in der Erde und im Kot sucht (Lev. 11, 19). Ebenso gilt das Schwein als unreines, böses Tier. In Psalm 80, 14 wird der wilde Eber beschrieben, der einen Weinstock verwüstet. Der giftige Basilisk wurde im Mittelalter als Mischwesen aus Schlange und Hahn gebildet und verkörperte wegen seines todbringenden Blickes und Atems den Teufel, die Sünde und den Tod. In einer der wichtigsten Schriften für die Künstler der Renaissance, der 1593 veröffentlichten Iconologia von Cesare Ripa (um 1555–1622), einem Handbuch zur Anleitung von Darstellungen nicht gegenständlicher Ausdrücke wie Emotionen etc., wird der Basilisk verschiedenen Personifikationen zur Seite gestellt, so zum Beispiel der Verleumdung, die nach der Affektenlehre aus dem Zorn hervorgeht.

Heinrich Aldegrever: Der Zorn 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Heinrich Aldegrever: Der Zorn 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Unzucht

Die Wollust oder Unzucht reitet auf einem Dromedar, das eher den Lastern des Zornes und der Faulheit zugeschrieben wird. Aldegrever scheint diesbezüglich manchmal frei zu wählen, welches Tier er hinzufügt, oder er beruft sich auf heute nicht mehr bekannte Quellen. Der Fuchs wiederum wird seit Anfang des 16. Jahrhunderts aufgrund seiner Verhaltensänderung während der Brunftzeit als Verführer zur Lust gedeutet. Junge Hähne oder Hennen wurden bereits in der Antike gerne als erotische Geschenke dargeboten – wie überhaupt der Vogel als Inbegriff des Sexus gilt, da die Begattung deutlich sichtbar im Freien stattfindet. Im Utrechter Wörterbuch von 1623 wird das Wort „voghelen“ eindeutig auch im heutigen deutschen Sinne übersetzt. Der Frosch bzw. die Kröte ist im Alten Testament eng mit der zweiten ägyptischen Plage verbunden, durch die eine unermessliche Anzahl von Fröschen aufgrund ihrer enormen Fruchtbarkeit aus dem Nil kam (Exodus 8, 1–10).

Heinrich Aldegrever: Die Unzucht 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Heinrich Aldegrever: Die Unzucht 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Völlerei

Bereits der römische Gelehrte Aelian (um 170–nach 222) erwähnte in seiner Schrift De natura animalium das Schwein als Symbol der Völlerei, da es sogar menschliche Kadaver und die eigenen Jungen fräße. Das seit dem 16. Jahrhundert bekannte Sprichwort „besoffen wie ein Schwein“ spielt auf die Gier dieser Tiere an. Eigentlich aus nahrungstechnischen Gründen fällt auch der Igel in diese Kategorie. Laut Physiologus, einer frühchristlichen Schrift, die sich mit der Natur – Fauna und Flora – auseinandersetzt, klettere der Igel auf die Weinstöcke, löse die Trauben und spieße sie mit seinen Stacheln auf, um sie in seinen Bau bzw. seinen Jungen zu bringen. Die Eule wurde Ende des 15. Jahrhunderts zum Sinnbild der Völlerei, weil sie das Unverdauliche ihrer Beute (Federn, Haare, Knochen etc.) mit heftigem Würgen wieder erbricht. Ebenso die Katze, die oft vom Putzen ihres Fells ihre eigenen Haare wieder speit, wobei ihr eher Egoismus und Beutegier, jedoch in geduldiger Form, zugesprochen wird.

Heinrich Aldegrever: Die Völlerei 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Heinrich Aldegrever: Die Völlerei 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Geiz

Das bärenartige Wesen, auf dem der personifizierte Geiz reitet, scheint ein Wolf zu sein, der eine Gans gerissen hat. Der Wolf wird im Physiologus als räuberisch wie die Habgierigen und Reichen, die immer mehr von den Armen nehmen, beschrieben. Obwohl nicht nachgewiesen, wird immer wieder überliefert, dass der Wolf seine Beute, ohne hungrig zu sein, rein aus Lust am Töten mit Haut und Haaren reiße. Der Geier – hier möglicherweise ein Mönchsgeier – wird für seinen scharfen Sehsinn bewundert. So kann er Kadaver aus 1000 m Höhe als Erster entdecken und ist damit schneller an seinem Fraß als jedes andere Tier. Als Vogeljäger spielt auch der Falke, wie alle Greifvögel, symbolisch eine negative Rolle. Mit Habgier und Geiz stürzen sie sich auf ihre Beute. Das gebratene, aufgespießte Hähnchen gibt Rätsel auf: In der Kunst des Barock stand ein Mädchen mit einem Hähnchenspieß als Symbol für die Sinnenlust. Im Zusammenhang mit dem Geiz könnte aber auch der Futterneid gemeint sein.

Heinrich Aldegrever: Der Geiz 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Heinrich Aldegrever: Der Geiz 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Faulheit

Die Kirchenväter übernahmen das Bild des Esels aus der Antike, wonach er dumm, störrisch und faul sei. Im christlichen Mittelalter war er als Reittier der Synagoge und der Lasterdarstellungen Faulheit und Wollust beliebt. Die Anlage des Krebses, rückwärts und seitlich zu gehen, wurde als Abweichung vom rechten Weg gesehen und damit zur Metapher der Unbeständigkeit, des Nicht-Zielgerichteten. Der Strauß mit dem Hufeisen im Schnabel ist eigentlich ein Sinnbild für Geistesstärke, da er das Eisen angeblich ohne Schaden zu nehmen verschlucken konnte und damit die Fähigkeit besaß, selbst aus Widrigkeiten noch einen Nutzen zu ziehen. Seine Zuordnung zur Faulheit rührt jedoch daher, dass er laut Physiologus seine Eier im Sand vergräbt und diese die Sonne ausbrüten lässt. Der Affe ist allgemein ein negatives Symbol, er ähnelt dem Menschen und galt vor der Lehre Darwins doch als Zerrbild desselben. Zur Faulheit wird er gezählt, weil er nicht zu guten Werken fähig sei. Unter anderem fresse er gerne Nüsse. Doch trifft er auf die bittere Schale, wirft er die süße Nuss weg, weil ihm der Weg dahin zu bitter ist.

Heinrich Aldegrever: Die Faulheit 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
Heinrich Aldegrever: Die Faulheit 1552, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

 

28 Tiere mit unterschiedlichsten Bedeutungen auf 7 kleinen graphischen Blättern sind ein Besuch in der Alten Galerie wert. Am besten eine Lupe mitnehmen, viel Geduld und Muse zum Betrachten! Nur noch bis zum 12. Juni 2016 in der Dauerausstellung der Alten Galerie zu sehen!

 

Literatur:

Donat de Chapeaurouge, Einführung in die Geschichte der christlichen Symbole, Darmstadt 31991.

Sigrid und Lothar Dittrich, Lexikon der Tiersymbolik. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14.–17. Jahrhunderts, (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 22), Petersberg 2004.

Ein Meister der Abstraktion

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Für den in Abgeschiedenheit am steirischen Rechberg lebenden Künstler, ist die Natur eine wesentliche Inspirationsquelle.

Aus der Betrachtung von Objekten wie Ästen und Wurzeln entwickelt der Künstler seine Bilder und überträgt die Welt in eine malerische Bewegung. Zu sehen sind die typischen, großformatigen Gemälde Holleghas noch bis zum 7. Februar in der großen Personale „Die Natur ist innen” in der Neuen Galerie Graz.

 

Ein Beitrag von Martin Gasser. Ursprünglich veröffentlicht in der Steirerkrone im Rahmen der Serie „Steirische Schätze”

Angeberwissen für den Ostersonntag

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Roswitha Orac-Stipperger, die Chefkuratorin der Volkskundlichen Sammlung, hat für den Blog 2012 ihr umfangreiches Wissen und drei interessante Texte rund um Ostern mit uns geteilt. Mit ihren Beiträgen seid ihr perfekt für den bevorstehenden Ostersmalltalk vorbereitet und glänzt bei der Jause mit unterhaltsamen Fakten rund ums Fest.

Osterbrauchtum – Alles, was man wissen muss

Roswitha Orac-Stipperger erklärt in diesem Beitrag, was es mit dem Färben der Ostereier auf sich hat. Sie weiß, warum blaue Eier vor Hochwasser schützen sollten und Liebende sich gegenseitig rote Eier schenken.

 

Ostereier dürfen in keinem Osternest fehlen. Foto: UMJ

Ostereier dürfen in keinem Osternest fehlen.
Foto: UMJ

Warum bringt ein Hase die Ostereier?

Als nächstes wird das Geheimnis um den Osterhasen gelüftet. Der versteckt ja bekanntlich die Eier und kleine Geschenke für Kinder. Was das mit den Augen der Tiere zu tun hat und wer traditionell sonst noch Eier bringt, erfahrt ihr im zweiten Blogbeitrag zum Thema Ostern.

Woher kommt unsere Osterjause?

Am Ostersonntag werden je nach Region und Vorliebe Pinzen, Nusspotizen oder Kärntner Reindlinge mit Selchfleisch, Eiern und Kren aufgetischt. Im dritten Blogbeitrag erklärt Orac-Stipperger, woher die Osterjause vermutlich herkommt und was unsere südlichen Nachbarn damit zu tun haben.

Eine weitere liebgewonnene Tradition ist das alljährliche Oster-Kinderprogramm im Österreichischen Skulpturenpark, der dieses Wochenende wieder seine Tore öffnet. Aber auch abseits von Ostern ist der Skulpturenpark wieder in Hochform und lädt zum genüsslichen Spazieren und Flanieren ein.

In diesem Sinne wünschen wir euch allen frohe Ostern und schöne Feiertage!

Gratwanderung zwischen virtueller Inspiration und realem Schaffen

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Winters Personale wird von einem web-basierten Projekt begleitet. Auf der Online-Plattform Pinterest zeigt der Künstler in seinem Graz Cabinet 327 Bilder, die er in Zusammenhang mit seiner Ausstellung gesammelt hat. Interessierte können das visuelle Bookmarking-Tool und Online-Pinboard dazu nutzen, die Quellen der Bilder und Winters Gedankenprozesse zu ergründen. Die gesammelten „Pins“ stellen eine Reihe von Verbindungen zwischen den naturkundlichen Sammlungen des Universalmuseums Joanneum, Winters eigener Arbeit und den Parametern seiner Personale her.

Auf ähnliche Art werden auch auf flickr Bilder geteilt. So vermittelt das Album Terry Winters @ Kunsthaus Graz Betrachter/innen die nicht bei der Ausstellungseröffnung dabei waren, die Stimmung des ersten Abends und geben einen Einblick in die Ausstellung im Space02 des Kunsthauses Graz.

 

Ein himmlisches Erdenrund

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Ein Beitrag von Christoph Hartner. Ursprünglich veröffentlicht in der Steirerkrone im Rahmen der Serie „Steirische Schätze“.

 

Für die Wissenschaft wurden sie anfänglich nur selten genutzt, dienten stattdessen vor allem repräsentativen Zwecken. Gepaart waren sie oft mit einem himmlischen Gegenpart, auf dem die Fixsterne und Sternbilder eingezeichnet waren. Ein solches Paar aus der Werkstatt von Vincenzo Coronelli (1650-1710) kam Ende des 17. Jahrhunderts auch in die Grazer Universität der Jesuiten.

Der gebürtige Venezianer war ein berühmter Kartograf und Kosmograf hatte sich vor allem für die hohe künstlerische Qualität in der Ausstattung seiner Globen einen Namen gemacht. Vom Grazer Paar ist nur noch der Himmelsglobus erhalten, dieser ist aber – vor allem wegen der kolorierten Kupferstiche der Sternbilder, aber auch wegen des prachtvoll vergoldeten Holzgestells – eine besondere Schönheit. Ausgestellt ist er im Grazer Museum im Palais.

Keine Angst vor dem Wolf!

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Am 02.04.2016 wurde die Sonderausstellung Der Wolf im Jagdmuseum Schloss Stainz eröffnet. Besucher/innen lernen hier neue – oft unbekannte – Seiten von Canis lupus, so der lateinische Name des Tiers, kennen. Raum für Raum führt die Ausstellung durch verschiedene Themengebiete, in denen der Wolf eine wichtige Rolle spielt. Nicht nur seine Geschichte und Entwicklung, sondern auch die Darstellung in der Kunst, in Sagen und Märchen und die Bedeutung in der Jagd werden beleuchtet.

 

Ein alter Bekannter

Der Wolf beschäftigt die Menschen enorm – und das, obwohl er für uns kaum ein Problem darstellt. Nach seiner Ausrottung tritt er in Mitteleuropa zwar wieder häufiger auf, in Österreich gilt er aber immer noch als ausgestorben. „Im letzten Jahr gab es nur vier durchziehende Wölfe bei uns, trotzdem ist die Furcht vor ihnen unverhältnismäßig groß“, weiß etwa Kurator Karlheinz Wirnsberger. Die Angst vor dem „bösen Wolf“ ist tief in der Geschichte verwurzelt und fand in Österreich in Form von brutalen Jagden und grausamen Fallen einen unrühmlichen Höhepunkt. Fotografien und Ausstellungsstücke wie die Wolfsangel – eine besonders schlimme Falle – zeigen das schwierige Verhältnis zwischen Mensch und Wolf.

 

Wolfszahn /Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Der Wolfszahn ist das älteste bekannte Schmuckstück der Steiermark, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

„Wir haben die Ausstellung aus der Geschichte des Wolfes heraus konzipiert“, erklärt Wirnsberger. Darum befinden sich in der Ausstellung auch Leihgaben aus anderen Sammlungen des Joanneums. Aus den Archäologischen Sammlungen ist etwa das älteste Schmuckstück der Steiermark zu sehen – ein Wolfszahn, der als Anhänger getragen wurde und um ca. 85.000–25.000 Jahre vor heute datiert wird.

 

Märchen, Mythos, Symbol

Die zahlreichen Klischees rund um den Wolf finden sich auch in unserer Sprache. Man hört zum Beispiel immer wieder vom „einsamen Wolf“. Diese Redewendung ist allerdings weit von der Realität entfernt, da Wölfe in festen Rudelverbänden leben und nur ausgestoßene Artgenossen alleine anzufinden sind.

 

Ausstellungsansicht Der Wolf, 2016/Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Ausstellungsansicht Der Wolf, 2016, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

„Der Wolf musste in der Vergangenheit für viel herhalten. Er wurde zum Beispiel von den Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg als Symbol missbraucht“, ruft Wirnsberger in Erinnerung. Beflügelt von der Idee, sich wie der verstoßene Wolf durch Verwandlung den sozialen Normen zu entziehen, entstand der Mythos des Wer- bzw. Mannwolfes, der im Dritten Reich instrumentalisiert wurde.

 

Auch wenn es im Museum oft "Berühren verboten!" heißt, darf man hier Platz nehmen und Hörspielen lauschen./Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Auch wenn es im Museum oft “Berühren verboten!” heißt, darf man hier Platz nehmen und Hörspielen lauschen, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Auch im Märchen wird der Wolf traditionell als Bösewicht dargestellt. Bei Rotkäppchen frisst er die Großmutter und bläst die Häuser der Drei kleinen Schweinchen um. In der griechischen Mythologie galt er sogar als Bote des Krieges und des Todes. Nordische Mythen stellen ihn als „Verschlinger von Sonne, Mond und Erde am Ende“ am Weltende dar.

Wölfinnen werden in Volkslegenden allerdings oft als fürsorgliche Mütter beschrieben, die sich um ihre Jungen – und im bekannten Dschungelbuch um den Menschenjungen Mogli – kümmern. Auch in der Gründergeschichte Roms werden die Buben Romulus und Remus von einer Wölfin aufgezogen.

Natürlich findet der Wolf auch Beachtung in der Kunst. In der Ausstellung finden sich mehrere Leihgaben der Neuen Galerie Graz und eine spannende Installation von Timm Ulrichs, in welcher der Wolf – im wahrsten Sinne des Wortes – in einem Schafspelz steckt. Im letzten Raum der Ausstellung können es sich die Besucher/innen gemütlich machen und der Geschichte Peter und der Wolf als Hörspiel lauschen.

 

Der Wolf
02.04.2016–31.10.2017
Jagdmuseum Schloss Stainz, Schlossplatz 1, 8510 Stainz

 

Das gute alte West-Berlin. Günter Brus und das Berlin der 1970er-Jahre

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Neben den damals entstandenen Werke von Günter Brus werden auch viele Editionen und Gemeinschaftsarbeiten präsentiert. Ein Großteil der gezeigten Arbeiten stammt aus unterschiedlichen Privatsammlungen und ist erstmals zu sehen.

Kunst und Revolution

Am 07.06.1968 fand an der Universität Wien vor einem Publikum von rund 400 Menschen die künstlerisch-politische Aktion Kunst und Revolution der Wiener Aktionisten statt. Später wurde sie unter dem Namen „Uni-Aktion“ (oder auch, verunglimpfend: „Uni-Ferkelei“) bekannt. In den Beiträgen der Teilnehmer wurden zahlreiche gesellschaftliche Tabus gebrochen. Günter Brus erklärte bereits in früheren Aktionen seinen Körper zum künstlerischen Medium.

Bei Kunst und Revolution verletzte er sich selbst, beschmierte sich mit seinem Kot und sang onanierend die österreichische Bundeshymne. In der repressiven österreichischen Kulturszene mutierte das Geschehene zum Skandal, in der Boulevardpresse entbrannet eine regelrechte Hetze gegen Brus.

Darüber hinaus kam er tatsächlich vor Gericht und wurde wegen „Herabwürdigung österreichischer Symbole und Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt. Dieses Urteil bewegte Brus und seine Familie, ermutigt von einer Postkarte Gerhard Rühms, schließlich zur Flucht aus Österreich.

 

Auf nach West-Berlin

Die Flucht nach West-Berlin traf Günter Brus hart. Er und seine Familie waren auf die Auswanderung nicht vorbereitet und die extremen Reaktionen auf seine Aktionskunst riefen beträchtliche Selbstzweifel in ihm hervor. Berlin stellte sich für ihn aber schließlich als „willkommener Ort, wo man sowieso hätte hingehen müssen“, heraus. Die dortige internationale Kunstszene, die mehr Freiräume genoss als in Österreich, imponiert ihm. „Ich empfand Berlin auf Anhieb als eine Art Heimat, zumindest als einen Gipsverband nach einem schweren Hals- und Beinbruch […], diese Stadt ist die einzige, nach der ich Heimweh-gefühle im Herzen trage“, schreibt Günter Brus in Das gute alte West-Berlin.

 

Berliner-Jahre

„In Berlin scharte sich ein Netzwerk um Brus, welches das Fundament der Ausstellung bildet. Brus‘ Arbeiten sind hier zwischen denen des Netzwerkes eingebettet“, erklärt Kurator Roman Grabner die Hintergründe der aktuellen Schau in Graz. Brus gründete mit Otmar Bauer, Hermann Nitsch, Gerhard Rühm und Oswald Wiener die „Österreichische Exilregierung“ und gab deren Publikationsorgan Die Schastrommel heraus, die 1975 in Die Drossel umbenannt wurde. Aus der provokanten Geste als Reaktion auf die erfahrenen Repressionen durch Staat und Gesellschaft wurde eine Plattform für zeitgenössische Kunst und eine wesentliche Publikationsmöglichkeit für avantgardistische Künstler abseits des Kunstmarkts.

 

Ausstellungsansicht, "Das gute alte West-Berlin", 2016, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Ausstellungsansicht, “Das gute alte West-Berlin”, 2016,
Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

 

Im Laufe der Jahre haben nicht nur Brus, Nitsch und Konsorten die Möglichkeiten des Mediums genutzt, sondern es wurden auch lyrische Texte von Georg Baselitz publiziert, Arbeiten von Dieter Roth oder Antonius Höckelmann veröffentlicht, Maria Lassnig in Erinnerung gerufen und die bildnerischen Arbeiten von Dominik Steiger das erste Mal herausgegeben. In der Ausstellung wurden rare Sonderausgaben gezeigt, die sich durch aufwendige Aufmachung und Originalwerke auszeichnen. Unter anderem ist auch ein verschollen geglaubter Trickfilm zu sehen, der 1975 als Zusammenarbeit von Brus und Wiener entstand.

Steiger gab etwa ab 1976 die Zeitschrift Nervenkritik in Wien heraus, die Beiträge und Arbeiten von Günter Brus, Dieter Roth oder Oswald Wiener in Österreich publizierte und die enge Verknüpfung der deutschen und österreichischen Künstlerszene zeigt. „Die Ausstellung erzählt nicht nur von Berlin, sondern auch von Wien. Zwischen den beiden Städten bestand eine Verbindung, die hier spürbar wird“, fasste Grabner bei der Eröffnung zusammen.

 

TIPP

Die Grazer Ausstellung Das gute alte West-Berlin findet parallel zur großen Retrospektive Günter Brus. Störungszonen im Martin-Gropius-Bau in Berlin statt.


Ein „Goldenes Kalb” für Wirtschaft und Industrie

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Ein Beitrag von Michaela Reichart. Ursprünglich veröffentlicht in der Steirerkrone im Rahmen der Serie „Steirische Schätze“.

Seit drei Jahren ist das „Goldene Kalb”des 2014 verstorbenen Architekten (als einziger Österreicher mit dem Pritzker-Preis geehrt), Künstlers und Designers Hans Hollein (IL) als Dauerleihgabe im Skulpturenpark in Unterpremstätten bei Graz zu bestaunen, nachdem es zuvor ein Teil der großen Hollein-Personale im Grazer Joanneumsviertel war.

Das Kunstwerk erzählt viel über seinen Schöpfer, der mit seinem Bekenntnis „Alles ist Architektur” eben jene in eine neue Dimension überführt und den Begriff Gestalter mit neuer Bedeutung aufgeladen hat. Sein „Goldenes Kalb”, 2004 für die damalige Kulturhauptstadt Genua geschaffen, erfüllt seine Vorgabe eines „multiple readings”:

Es soll zu Assoziationen über Maschinen, Fortschritt und Tempo animieren, stellt gleichzeitig – nicht unbedingt subtil – die bedingungslose Anbetung der Götzen Industrie und Wirtschaft zur Diskussion. Hollein spielt zudem gekonnt mit schwerer Materialität und absoluter Flüchtigkeit.

Übrigens: Am 25. März beendete der Skulpturenpark seine Winterpause.

Glückssträhne für die Neue Galerie Graz

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„Es ist eine sehr große Freude, diese Kunstwerke entgegennehmen zu dürfen. Die Sammlung von Helmut Suschnigg ist die Fortsetzung einer wahren Glückssträhne an Schenkungen“, findet Wolfgang Muchitsch, Direktor des Universalmuseums Joanneum. Nach kürzlich erfolgten Schenkungen aus der Sammlung Ploner (2014) sowie von Wolfgang Hollegha (2016), der Artelier Collection – Sammlung serieller Kunst (2015) und Maria Lassnig (2013) bereichern nun auch rund 470 Werke aus Suschniggs Sammlung den Bestand der Neuen Galerie Graz. Bei Letzterer handelt es sich um die kostbarste Schenkung in der Geschichte der Neuen Galerie. Bis der genaue Wert feststeht, wird es aber noch dauern, da die schiere Größe der Sammlung eine Herausforderung für die Fachleute des Museums darstellt.

Die Durchsicht und Schätzung der zahlreichen Werke stellt die Mitarbeiter/innen des Universalmuseum Joanneum vor Herausforderungen, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Die Durchsicht und Schätzung der zahlreichen Werke stellt die Mitarbeiter/innen des Universalmuseum Joanneum vor Herausforderungen, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Warhol, Wesselmann, Lichtenstein und Co.

Das Besondere an dieser Schenkung ist neben ihrer Größe auch die herausragende Qualität der Werke. Die Sammlung spannt einen Bogen durch die Medien Malerei, Grafik und Plastik und setzt einen besonderen Schwerpunkt auf zeitgenössische österreichische Malerei und Plastik sowie auf amerikanische Pop Art. Darunter finden sich qualitativ hochwertige Werke mit sprichwörtlich „ikonenhaftem“ Charakter wie etwa großformatige Siebdrucke von Andy Warhol (u. a. zwei Marilyn-Porträts), ein Gemälde von Alex Katz, Siebdrucke von Tom Wesselmann, Roy Lichtenstein, Keith Haring und Mel Ramos sowie Skulpturen und Siebdrucke von Allen Jones. „Wir können Ausstellungen aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachten und betreten mit dem Bereich amerikanische Pop Art völliges Neuland“, zeigt sich Peter Peer, Leiter der Neuen Galerie Graz, begeistert.

Sammler und Jäger

Suschnigg sammelt zwar Kunst, hat aber am meisten Freude an der „Jagd“ nach besonderen Kunstwerken. Die Exemplare der Schenkung stöberte er bei zahlreichen nationalen und internationalen Kunstmessen, Auktionen und direkt bei Künstlerinnen und Künstlern auf. „Anfangs habe ich einfach Kunst gekauft, die mir gefiel, mittlerweile bin ich seit 20 Jahren am Kunstmarkt tätig. Ich hatte viel Glück im Leben, und das möchte ich nun teilen. Ich habe meine Wurzeln in der Steiermark, deswegen wollte ich auch, dass die Sammlung hierher kommt“, erklärt Suschnigg seine Intentionen.

V.l.n.r. Wolfgang Muchitsch, Christian Buchmann, Peter Peer und Helmut Suschnigg bei der Unterzeichnung des Schenkungsvertrages, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

V.l.n.r. Wolfgang Muchitsch, Christian Buchmann, Peter Peer und Helmut Suschnigg bei der Unterzeichnung des Schenkungsvertrages, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Mit der Übereignung seiner Sammlung werden die Werke erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und das Segment der Pop Art, das auf andere Weise vermutlich niemals Einzug in die Sammlung des Museums gefunden hätte, wird für die Neue Galerie Graz erschlossen. Auch Kulturlandesrat Christian Buchmann freute sich über den Zuwachs in der Neuen Galerie Graz: „Diese Schenkung ist eine großartige Erweiterung des aktuellen Sammlungsbestandes und Helmut Suschnigg kann darauf vertrauen, dass sie wertschätzend der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.“

Kröten, Schlangen & Co.: Die gescheiten Überlebenskünstler und nützlichen Mitbewohner in unseren Gärten

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Ausstellungsansicht "Kröten, Schlangen & Co", Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Ausstellungsansicht “Kröten, Schlangen & Co”,
Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Viele bedrohte heimische Arten!

Viele unserer heimischen Amphibien und Reptilien sind heute stark bedroht. Ursachen dafür sind der Klimawandel und Krankheiten, aber auch der Mensch schränkt ihren Lebensraum ein. Aufgrund intensiver Landwirtschaft, der stetigen Erweiterung des Straßennetzes und übermäßiger Bebauungen kommen diese zumeist unbemerkten Tiere wortwörtlich unter die Räder.

Ausstellungsansicht "Kröten, Schlangen & Co", Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Ausstellungsansicht “Kröten, Schlangen & Co”,
Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Den Kopf nicht in den Sand – oder eher Matsch – stecken!

Und was tun Frosch und Co., wenn sie aus ihren Tümpeln, aus Wald und Wiesen vertrieben werden? Sie stecken zumindest nicht den Kopf in den Sand – oder eher Matsch –, sondern suchen sich als Überlebenskünstler, die sie sind, in Parkanlagen, privaten Gärten und Biotopen neue Lebensräume.

Ausstellungsansicht "Kröten, Schlangen & Co", Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek Ausstellungsansicht "Kröten, Schlangen & Co", Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek Ausstellungsansicht "Kröten, Schlangen & Co", Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek Ausstellungsansicht "Kröten, Schlangen & Co", Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

„Das Ensemble an Reptilien und Amphibien in unseren Gärten reicht von entzückend bis ekelerregend und wird oft übersehen, da die meisten Tiere klein und unscheinbar sind“, erklärt Wolfgang Paill, Leiter der Abteilung Naturkunde am Universalmuseum Joanneum.

„Sparkling Science“: Das Projekt für Nachwuchsforscher/innen

Da Forscher/innen nicht einfach in Privatgärten marschieren können, sind die Kenntnisse zum Vorkommen von Amphibien und Reptilien in menschlichen Siedlungsgebieten sehr gering. Genau hier setzt das an vier steirischen Schulen durchgeführte Forschungsprojekt „Sparkling Science“ des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft an.

Junge Forscher, Foto: Universalmuseum Joanneum/W. Paill

Junge Forscher,
Foto: Universalmuseum Joanneum/W. Paill

Im Zuge des Projekts führen Schülerinnen und Schüler unter wissenschaftlicher Anleitung noch bis Ende 2016 Beobachtungen in Grünflächen des eigenen Umfeldes durch. Stolz können die Nachwuchswissenschaftler/innen allemal auf sich sein:  Ihre Erkenntnisse bilden unter anderem die Basis für die aktuelle Sonderausstellung im Grazer Naturkundemuseum.

Keine Angst!

Ängste und Ekel, zum Beispiel vor Schlangen, bauten die Jugendlichen schnell ab. „Vor allem die Lehrer musst sich jedoch ihren Ängsten stellen“, schmunzelt der Amphibien- und Reptilienfachmann Werner Kammel, der die Schulen während des Projektes unterstützt und Fachkurator der Ausstellung ist. Der Experte gibt übrigens Entwarnung: „Rund um Graz und in der Ost- und Weststeiermark gibt es sowieso keine giftigen Schlangen.“

 

Kröten, Schlangen & Co. In unseren Gärten, aber wo?
15.04.–10.07.2016
Naturkundemuseum, Joaneumsviertel, 8010 Graz

Mitleid für Überlebende eines großen Unglücks

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In der Allerheiligennacht 1827 zerstörte eine Feuersbrunst Mariazell. Mehrere Menschen kamen dabei um. Georg Ferdinand Waldmüller machte das Unglück schon bald darauf zum Thema.

Auffallend bei diesem Gemälde im Besitz der Neuen Galerie Graz, ist die detailgetreue Darstellung der steirischen Männertracht. Waldmüller sollte später zum großen Genre-Maler zwischen Realismus und Idealisierung werden.

Der Beitrag wurde ursprünglich in der Steirerkrone im Rahmen der Serie „Steirische Schätze“ veröffentlicht.

Der Trachtensaal neu betrachtet

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Im historischen Trachtensaal des Volkskundemuseums werden traditionelle Kleidungsstücke seit jeher auf hölzernen Figurinen des bekannten Grazer Bildhauers Alexander Silveri (1910–1986) präsentiert. Diese lebensgroßen Skulpturen standen dabei immer im Hintergrund, wirkten sich jedoch von dort auf die Stimmung des Raumes aus.

Die Besucher/innen der Intervention folgten den fünf Wegen bei der Eröffnung am letzten Freitag, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Die Besucher/innen der Intervention folgten den fünf Wegen bei der Eröffnung am letzten Freitag, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Wie unterschiedlich manche Besucher/innen den Raum und die „Einheimischen“ darin wahrnehmen, wurde bei einer Kooperation des Instituts für Volkskunde und Kulturanthropologie (Karl-Franzens-Universität Graz) mit dem Volkskundemuseum deutlich. Studierende nahmen unter Leitung von Katharina Eisch-Angus und mit Hilfe von Erika Thümmel das Präsentationskonzept des Saales als „Museum im Museum“ wörtlich und gestalteten fünf ironische sowie subjektive „Führungslinien“ durch den Trachtensaal. Ihnen entlang lernen Besucher/innen die verschiedenen Zugänge der Projektgruppe zu den Figurinen kennen und folgen unter anderem dem „Irrweg“ durch populäre Irrtümer zum Trachtensaal und dem „Holzweg“ für Kinder.

Die Stationen des "Irrweges" klären über weit verbreitete Irrtümer auf, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Die Stationen des “Irrweges” klären über weit verbreitete Irrtümer auf, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Auf diese Weise wird im Trachtensaal nicht nur erstmals diese museale Inszenierungsform erforscht, sondern auch die Sehnsüchte und Ideologien der Entstehungszeit im Spannungsfeld von Volkskunde und Kunst beleuchtet und heutige Fragen von Angst, Identitätssuche und dem Umgang mit der eigenen, „heimischen“ Kultur aufgeworfen. Ihre Erkenntnisse fassten die Teilnehmenden der Projektgruppe in Form von 14 Essays im Buch Unheimlich heimisch. Kulturwissenschaftliche BeTRACHTungen zur volkskundlich-musealen Inszenierung zusammen.

„Besonders interessant war, dass der Trachtensaal des Volkskundemuseums der einzige in der Originalaufstellung erhaltene ist und bis jetzt fast keine Forschung dazu betrieben wurde. Zu dem Thema ist auch keine Literatur vorhanden. Wir haben uns also auf unbekanntes Terrain begeben und unglaublich viele neue, spannende Erkenntnisse gewonnen. Diese spiegeln sich in der Intervention wider“, meinte Projektleiterin Eisch-Angus bei der Eröffnung.

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