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Gut Ding braucht Weile – eine Zeitreise in die Vergangenheit

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Während das „Tal der Geschichten“ auf den ersten Blick so wirkt, als würde es noch tief im Winterschlaf liegen und sich so gut wie nichts in der schwachen Frühlingssonne regen, kann man von Weitem ein Knacken und Hacken aus dem Wald wahrnehmen. Geht man die noch verlassenen Wege entlang und den Geräuschen auf die Spur, bemerkt man, dass die „Stübinger“ ganz und gar nicht mehr an Winterschlaf denken, sondern das Gelände und die rund 98 historischen Bauten, die sich hier auf 65 ha Gesamtfläche verteilen, fleißig für die neue Saison und auch den bevorstehenden „World Wood Day“ auf Vordermann bringen. Vom Strohdachdecken und Hausversetzen über das Brunntrog- und Dachrinnen-Hacken bis zum Zäune-Machen und Anfertigen von Holznägeln: Dem Team des Österreichischen Freilichtmuseums Stübing steht bis zur Eröffnung der neuen Saison noch viel Arbeit bevor.

Marcellus Strommer (39) und Hubert Janisch (30), zwei der rund 12 Handwerker/innen, die mit der Erhaltung der historischen Objekte im Österreichischen Freilichtmuseum Stübing betraut sind, stehen schon seit frühmorgens hier, um riesige Holzblöcke zu verarbeiten. Ohne maschinelle Unterstützung, versteht sich. Traditionelle Handarbeit steht hier nämlich an der Tagesordnung: „Wir versuchen alles auf die Art und Weise zu verarbeiten und herzustellen, wie es auch früher gemacht wurde“, erklärt Marcellus Strommer, dem die harte Handarbeit bereits den Schweiß auf die Stirn getrieben hat. Seit bereits vier Jahren arbeitet er hier in Stübing und ist sich des zusätzlichen Aufwands, die diese alten Techniken mit sich bringen, bis heute nicht zu schade. „Man muss das aus einer ganz anderen Perspektive sehen“, erklärt Hubert Janisch und setzt zum Hacken mit dem Breitbeil an: „Die Arbeitsweise gibt die Geschwindigkeit vor.“

Mit Breitbeilen bearbeiten Marcellus Strommer und Hubert Janisch riesige Holzblöcke.

Ein Ort, an dem die Zeit stillsteht

Woher das Wissen rund um das alte Handwerk kommt, wie sie dieses Wissen umsetzen und vor allem auch für die Zukunft erhalten, auch das erklären die beiden, während sie weiter fleißig draufloshacken: „Das ganze Wissen rund um die Handhabung verschiedener Handwerkstechniken stammt größtenteils von ,den Altenʻ bei uns. Einige arbeiten schon seit Jahrzehnten hier im Freilichtmuseum und konnten sich dadurch das nötige Know-how aneignen“, erklärt Hubert. „Und manchmal fragen wir auch bei älteren eingesessenen Leuten nach, die mit einem solchen Handwerk groß geworden sind.“ Wie schwierig sich teilweise die Umsetzung dieser traditionellen Bauarten und Techniken erweist, zeigt sich schon beim Blick auf die schweißgebadeten Handwerker, die sich durch die Laufmeter schnitzen. Nur mühevoll und langsam geht es voran: „Pro Tag schaffen wir zirka vier solcher Blöcke“, so Hubert.

Zeitreise in die Vergangenheit 

Schwierig gestaltet sich oft auch die Beschaffung der Gerätschaften und Baustoffe, die für die Erhaltung und Bewahrung dieses einzigartigen Kulturguts notwendig sind: „Vieles wird in dieser Form gar nicht mehr hergestellt und ist deshalb schwer zu beschaffen“, erklärt Marcellus. „Das Stroh, das wir zum Decken der Strohdächer benötigen und ca. zwei Meter lang sein muss, kommt deshalb zum Teil aus Ungarn und die Werkzeuge ergattern wir manchmal sogar bei Flohmärkten.“

Vorbereitungen für die neue Saison: Das Stroh, das zum Decken der Strohdächer benötigt wird, kommt zum Teil Aus Ungarn.

Alle Vorbereitungen laufen

Und woran arbeiten die beiden eigentlich genau? „Das sind Vorbereitungen für den World Wood Day 2019, der heuer hier bei uns im Freilichtmuseum Stübing über die Bühne gehen wird. Aus dem Bloch wird eine Stockmühle, eine Rekonstruktion der sogenannten ,Pahl-Mühleʻ aus Kals am Großglockner, die zwischen 20. und 23. März gemeinsam mit Handwerkern aus aller Welt errichtet und dann am 23. März in Betrieb gehen wird“, freut sich Marcellus trotz des Rundholzhaufens im Hintergrund, der bis zum World Wood Day noch auf die beiden Männer wartet.

Im Zuge des World Wood Days 2019 entsteht hier eine Stockmühle.


Kinshasa-Bayreuth

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Barber Pop

Barber Pop erweitert unseren Fokus auf populäre Kunst im Kongo um Positionen in anderen afrikanischen Ländern. Die gezeigten Werke kommen aus dem Bestand des Iwalewahauses und umfassen ein breites Spektrum: von Friseurschildern über Darstellungen von Erkrankungen, medizinischen Behandlungen, kriegerischen Konflikten bis hin zu Popmusik und Filmen aus Nollywood (das nigerianische Pendent zu Hollywood). Die vielen Friseurschilder (aus Barber Shops) in der Sammlung des Iwalewahauses waren im Übrigen titelgebend.

 

Die Friseurschilder aus Barber Shops

Mega Mingiedi

Die Ausstellung von Mega Mingiedi geht auf ein Stipendium zurück, das er im Rahmen von Congo Stars erhielt. Er arbeitete von Mitte Juni bis Mitte Juli als Artist in Residence am Iwalewahaus. Seine Einzelausstellung trägt den Titel Kinshasa-Bayreuth und besteht aus einer vor Ort entstandenen großformatigen Wandarbeit, Filmen sowie älteren Collagen aus der Sammlung des Iwalewahauses.

Die Verknüpfung zweier unterschiedlicher Welten

 

Mit Kinshasa-Bayreuth führt Mingiedi äußerst anschaulich vor Augen, wie sehr Teile der Welt heute miteinander verknüpft sind, auch wenn sie Tausende Kilometer voneinander entfernt sein mögen. Bilder, Werbeslogans, Busfahrkarten, Flaschenetiketten, Musik und dazwischen immer wieder Kommentare des Künstlers zirkulieren im virtuellen Netz zwischen Bayreuth und Kinshasa und verweben kulturelles Erbe, Politik, Migration und Konsum. Mingiedi macht darüber hinaus deutlich, dass es in dieser globalisierten Gegenwart reichlich Asymmetrien und Abhängigkeiten gibt, was Wohlstand, Perspektiven und Reisemöglichkeiten anbelangt. Eine sehenswerte Ausstellung, die durchaus nachdenklich stimmt!

 

Das Iwalewahaus

Das Iwalewahaus als Teil der Universität Bayreuth präsentiert wechselnde Ausstellungen mit zeitgenössischer außereuropäischer Kunst, vor allem aus afrikanischen Ländern. Das Haus hat den Auftrag, die Gegenwartskultur Afrikas zu erforschen, zu dokumentieren und zu lehren. Die Schwerpunkte sind neben bildender Kunst auch afrikanische Alltagskultur, Medien und Musik.

 

Fotos: Barbara Steiner

 

Ein Tag mit … Elisa Kniebeiß

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Teamleiterin Garten- und Baumpflege Abteilung Schloss Eggenberg & Alte Galerie, Referat Schloss und Park Eggenberg

Ich treffe Elisa Kniebeiß im Schlosspark Eggenberg, genauer gesagt im Planetengarten. Es ist noch früh, der Nebel hängt noch im Wald hinter dem Schloss. Das herbstliche Oktober-Orange der Eggenberger Bäume beginnt bereits den Blick auf Äste in kahlem November-Schwarz freizugeben. Sie ist mit ihrem Team mitten in der Arbeit, ein Stammgast des Parks hat sich zur Unterhaltung dazugesellt. „Erika pflanzen wir gerade nach, für die Baumscheiben, da sind wir heute beschäftigt“, erklärt sie, während sich der Besuch langsam wieder verabschiedet. Beschäftigt ist das Gartenteam jetzt im Herbst sowieso: Laub, Laub, Laub liegt ihnen buchstäblich bergeweise zu Füßen. Und das will natürlich weggeschafft werden, „damit es ordentlich ausschaut“ in dem bis ins kleinste Detail gestalteten Landschaftspark in Eggenberg. Dafür wird schon um 7 Uhr morgens angefangen, im Sommer noch früher.

Frischer Start und betagte Bepflanzung

Es ist Elisas erstes Jahr als Leiterin des achtköpfigen Gartenteams, seit Juni dieses Jahres ist sie mit von der Partie. Über das Schnuppern an der Uni, der bald entdeckten Leidenschaft fürs Gärtnern und der darauffolgenden Ausbildung im Botanischen Garten hat sie den Weg in den Schlosspark gefunden. „Das ist die Erfüllung für mich – wenn ich draußen im Garten sein kann, fühle ich mich wohl. Woran ich mich aber noch gewöhnen muss, sind die Bürotätigkeiten: Ich bin eher die Praktische als die Theoretische“, schmunzelt sie. Sichtbar wird das gleich: Nach einem Lieblingsplatz im Park gefragt, hat sie sofort eine Antwort parat, auch wenn hier so vieles wunderschön ist. Die sogenannte Skulpturenwiese neben dem Schloss hat es ihr angetan. „Die Bäume hier taugen mir voll. Ich kann gar nicht sagen, warum. Ich schaue da einfach so gerne hin!“ Beeindruckend sind sie tatsächlich, die hochgewachsenen Stroben, manche schon fast 200 Jahre alt. Hier stehen die ältesten Bäume des Parks. Das hohe Alter der Bäume macht sie auch anfällig für Krankheiten, Äste werden morsch und immer wieder müssen einige dieser Parkdinosaurier gefällt werden. Ein Anflug von Mitleid mit den alten Riesen schwingt in Elisas Stimme mit, als sie davon erzählt.

Heute werden die Baumscheiben mit Erika bepflanzt.

Tüfteln am Landschaftsgemälde

An der Skulpturenwiese entlang, vorbei am ehemaligen Wildgehege, führt der Weg durch ein schweres Tor in den Wirtschaftshof der Gärtner. Versteckt zwischen Parkmauer und Strauchwerk lagern hier aussortierte Parkskulpturen, Maschinen und Gärtnerwerkzeug neben dem Aufenthaltsraum und Büro des Gartenteams. Das Betreten des geheizten Gemeinschaftszimmers ruft dem nicht gartengeeichten Besucher sofort die herbstliche Kälte in den Fingerspitzen ins Bewusstsein. Bewundernd erzählt die Gartenleiterin von den Umbauarbeiten, die die Kollegen im Vorjahr hier durchgeführt haben. „Früher war das eine große, zusammenhängende Lagerhalle, eher ein kaltes Loch. Trennwände wurden hier eingezogen, Böden verlegt, Möbel reingestellt. Das kalte Loch wohnlich gemacht.“

Hier im Büro findet auch ein beträchtlicher Teil ihrer Arbeit statt: Beachtung der Blickachsen, Denkmalschutz, Naturschutz, historische Rekonstruktion – Platz für Lust und Laune gibt es nicht, hinter dem Erscheinungsbild des Landschaftsparks steckt sehr viel Vorbereitung und genaue Arbeit. Der Park wird streng nach Parkpflegewerk bepflanzt und gepflegt, um den historischen Charakter aufrecht zu erhalten. Wie in der Natur soll man sich hier fühlen, vom Menschen Geschaffenes, wie die Wege, sollte möglichst unsichtbar sein. „Wie ein Landschaftsgemälde – steht im Buch von Frau Dr. Kaiser!“, erklärt Elisa lachend. In dem Buch, das sie die letzten Monate über begleitet hat. Die Bewahrung und schrittweise Rekonstruktion eines historischen Schlossparks verlangt eben fundiertes Wissen über historische Bepflanzung, welche Bäume wo und in welcher Anzahl gesetzt werden dürfen etwa. Den Überblick behält sie mithilfe des Katasterplans: Jeder Baum ist hier genau markiert, nummeriert und eingetragen. Nichts wird dem Zufall überlassen: „So ein Schlosspark ist in Sachen Bürokratie schon etwas anderes als ein Privatgarten.“

Planung ist alles: der Katasterplan des Schlossparks

Verteidigung der Blumenwiesen

Zum Ausgleich vom Führen des herrschaftlichen Schlossparks betreut Elisa Kniebeiß dann gerne ganz unbürokratisch ihren eigenen kleinen Garten zu Hause. „Es sind beide meine Gärten“, strahlt sie stolz, ohne auf ein Augenzwinkern zu verzichten: „Sie müssen eben anders behandelt werden – wenn zu Hause das Laub liegt, ist mir das Wurscht.“ Die Lust am Garteln nützt sich aber nicht ab, solange die Energie da ist, wird weitergemacht. „Wenn die Sonne scheint und ich drinnen bin, fühle ich mich wie eingesperrt. Ich kann nicht lange drin sitzen.“ Raus in die Natur zieht es sie auch mit ihrem Hund, beim Geocachen oder beim Bogenschießen im Parcours gemeinsam mit ihrem Mann. „Dabei schießt man auf Kunststofftiere: Hasen, Bären, Zombies (lacht)“. Auch wenn es nach 3 Jahren Training noch nicht zur Abwehr der Zombieapokalypse reicht, hat der Eggenberger Park so zumindest eine wehrfähige Gartenleiterin für den Ernstfall.

Gegen 15 Uhr ist ihr heutiger Parkeinsatz beendet. Vielleicht wird der Garten daheim noch winterfit gemacht, eventuell aber auch einmal nur ferngesehen. Morgen wird es weitergehen mit dem Einwintern des Parks, in der dunklen Jahreszeit stehen dann noch viele Reparaturarbeiten in der Werkstatt an, bevor der Frühling wieder alles sprießen lässt. Zu wenig Arbeit wird es nicht geben. Gibt es denn einen Wunsch für die Zukunft? „Motivation im ganzen Team – der Schlosspark ist eine wunderschöne Arbeitsstelle. Und vielleicht, in ferner Zukunft, die Umsetzung einer oder mehrerer Wildblumenwiesen (lacht).“

Teamwork: Zu acht wird der Park ganzjährig in Form gebracht

Gartenleiterin Elisa Kniebeiß, wenn sie gerade nicht auf Zombiejagd ist.

 

24/7 Archäologie: Anja Hellmuth Kramberger und Sarah Kiszter im Interview

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Frau Hellmuth Kramberger, Sie sind wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Projekt „Iron-Age-Danube“. Wie darf man sich einen typischen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen?

Anja Hellmuth Kramberger: Ein typischer Arbeitstag beginnt und endet am PC im Gärtnerhaus in Eggenberg. Auch wenn sich das etwas langweilig anhört, ist es das keinesfalls, weil die Aufgaben ja ganz vielfältig sind. Im Projekt „Iron-Age-Danube“ haben wir unterschiedliche Arbeitspakete, die ganz verschiedene Aufgaben und Herausforderungen bieten. Auf der einen Seite hat man die wissenschaftlichen Aspekte und auf der anderen Seite eben die Darstellung dieser wissenschaftlichen Inhalte für die Öffentlichkeit – und das in verschiedenen Formen. Wir haben zum Beispiel ein Kindermagazin entwickelt und auch an einer App für Besucher wird gerade gearbeitet.

Sie untersuchen das archäologische Erbe der Frühen Eisenzeit, was wird hier erforscht?

AHK: Wir untersuchen die eisenzeitlichen Kulturlandschaften, das heißt, wir betrachten nicht nur einzelne Fundplätze oder Objekte, sondern die gesamte Landschaft mit vielen verschiedenen Spuren der Vergangenheit. Das sind hier in unserem Raum besonders Grabhügel und befestigte Siedlungen in erhöhter Lage, die den Menschen Schutz boten, aber auch Wege und sonstige Spuren der damaligen Tätigkeiten.

„Iron-Age-Danube“ wird gemeinsam mit drei weiteren Ländern durchgeführt. Bringt dieses Projekt dadurch auch viele Dienstreisen mit sich?

AHK: In erster Linie bin ich in Eggenberg, aber ich bin in der Tat auch relativ oft auf Dienstreisen. Ein wichtiger Teil von „Iron-Age-Danube“ sind unsere Archäologie-Camps, die einerseits in Großklein und Strettweg stattgefunden haben, andererseits in unseren Partnerländern Kroatien, Slowenien und gerade im Moment in Ungarn. Da gibt es dann viele Veranstaltungen und auch Arbeitsgruppen-Treffen, für die es regelmäßig auf Reisen geht.

Grabungen am Königsberg: Auch wissenschaftliche Grabungsarbeiten gehören zum Arbeitsalltag von Anja Hellmuth Kramberger. 

Ein wichtiger Teil von “Iron-Age-Danube” sind die Archäologie-Camps: Anja Hellmuth Kramberger (ganz rechts) mit ihren Kollegen voll im Einsatz. Foto: R-Raggam 

Stichwort Dienstreisen: Wie sieht das bei „PaleoDiversiStyria“ aus?

Sarah Kiszter: Bei mir hängt es sehr davon ab, woran wir gerade arbeiten. Es gibt Tage, da sitze ich auch ganztägig vor dem PC, aber wir haben – wie auch bei „Iron-Age-Danube“ – entschieden, dass wir an die Öffentlichkeit gehen und aus unseren Ergebnissen Produkte entwickeln wollen. Das heißt, ich muss durchgehend mit den Betrieben, die wir für unsere Pilotprodukte gewonnen haben, in Kontakt stehen und sie regelmäßig besuchen.

An welchen Produkten wird beispielsweise gerade gearbeitet?

SK: Wir haben etwa ein eisenzeitliches Bier aus Uremmer gebraut oder römische Käsesorten und Amphorenwein produziert. Neben der Identifizierung und Revitalisierung von historischen Pflanzenarten versuchen wir aber auch zu rekonstruieren, wie die Landwirtschaft damals ausgesehen hat und welche Geräte dafür verwendet wurden. Besonders spannend ist auch das Nachbauen solcher Geräte. Dann stehen wir beispielsweise zwei Tage in der Werkstatt und bauen jungsteinzeitliche Holzpflüge, Klingen und Dreschschlegel nach oder bestellen händisch ein Feld mit Uremmer.

Werden diese Produkte dann auch von Ihnen verkocht?

SK: Ja, bevor wir Protoprodukte bei Betrieben herstellen, müssen wir vorher schauen, ob es überhaupt möglich ist und ob es auch schmeckt. Gekocht wird nach alten Rezepten. Vor allem die römischen Rezepte sind extrem gut. Apicius, ein römischer Gourmet, hat im 2. Jahrhundert n. Chr. die allererste Rezeptsammlung – also das allererste Kochbuch – verfasst. Darin finden sich Rezepte von Eintöpfen und Aufstrichen bis hin zu Flamingo-Zunge. Also Flamingo-Zunge habe ich persönlich noch nie nachgekocht oder gekostet, ich wüsste auch gar nicht, wo man das bekommt. Etwas, das bei den Römern sehr gerne und praktisch zu allem gegessen wurde, war Garum – eine Art Fischsauce, die wie das heutige Ketchup zur Verwendung kam.

Und was aß man vor rund 9000 Jahren?

SK: Also 100 % sicher kann man das natürlich nie sagen, aber es ist so, dass man das gegessen hat, was einem die Natur gegeben hat. Das können Nüsse sein, Beeren, Knollen und natürlich auch Fleisch. Wobei in der Altsteinzeit viel Fleisch wahrscheinlich noch roh und direkt verzehrt worden ist. Etwas später hat sich das allmählich verändert, man hat begonnen Fleisch zu kochen, zu grillen und zu garen und auch Getreide anzubauen. Der Speiseplan wurde immer größer.

Würde uns das auch heute noch schmecken?

SK: Ja, natürlich, es wurden Dinge verwendet wie Karottensamen, Nüsse, Wacholderbeeren, Johanniskraut oder Brennesselsamen, diese sind beispielsweise sehr schmackhaft und energie- und vitaminreich. Ich würde sogar behaupten, dass die Ernährung der Menschen damals vielfältiger war als unsere.

Wie kam das Projekt „PaleoDiversiStyria“ ins Rollen?

SK: Unser Projektleiter Marko Mele hat in den letzten Jahren in Großklein mehrere Ausgrabungen durchgeführt. Bei solchen archäologischen Ausgrabungen werden gezielt Erdproben genommen. Diese haben sich inzwischen ziemlich angehäuft und so entstand die Überlegung, ein archäobotanisches Projekt entstehen zu lassen.

Mit nachgebauten, jungsteinzeitlichen Arbeitsgeräten bestellte Sarah Kiszter (4.v.r.) gemeinsam mit dem PaleoDiversiStyria-Team ein Feld mit Uremmer. Mit der Ernte wurde erst kürzlich eisenzeitliches Bier gebraut. 

Schweißtreibende Arbeit: Die in der Werkstatt nachgebauten Holzpflüge, Klingen und Dreschschlegel, kamen auf dem Testfeld zum Einsatz. 

Welche Rolle spielt der RegioStars Award für das Projekt „Iron-Age-Danube“?

AHK: Der RegioStars Award ist natürlich eine sehr wichtige und große Sache. Hier werden von der Europäischen Kommission besonders originelle und innovative Projekte ausgezeichnet, die inspirierend für andere Regionen und zukünftige Projekte sein können. Wir hätten es uns nie träumen lassen, unter all den Teilnehmern ins Finale zu kommen.

Derzeit steht das Projekt auf Platz 7 – rechnen Sie noch damit, zu gewinnen?

AHK: Noch ist nichts verloren! Platz 7 von 21 lässt sich sicher noch verbessern, also: Alle zum Voting, die es bisher noch nicht gemacht haben!

Was verbindet die beiden Projekte?

AHK: In beiden Projekten ist es das Ziel, den Menschen das kulturelle Erbe näherzubringen. Dabei verfolgen beide Projekte teilweise ganz ähnliche Strategien. Außerdem arbeiten beide Projekte grenzübergreifend, was wichtig ist, da die heutigen politischen Grenzen in der Prähistorie natürlich nicht bestanden. Uns geht es auch darum, dass die Menschen durch mehr Informationen einen besseren Zugang zum kulturellen Erbe bekommen, denn nur wer es versteht, sieht letztendlich auch einen Sinn darin, kulturelles Erbe zu schützen.

Woher kommt das Interesse am Vergangenen, am Alten?

AHK: Das Interesse hat schon in der Grundschule mit dem Geschichtsunterricht angefangen. Ein Highlight war eine Schulexkursion. Da waren wir bei einer römischen Fundstelle in Bayern, auf jeden Fall hat man im Prinzip nur ein paar Hügel und Mauerreste gesehen und für alle anderen war das total öde. Und ich bin herumgewandelt und hab mir alles genau vorgestellt, wie die Häuser dastanden und die Leute herumgelaufen sind, und danach habe ich sofort ein Referat über die römische Baukunst gemacht. Und ich bin schon als Kind immer überall herumgelaufen und habe Dinge gesucht. Es war etwas Tolles für mich, wenn wir am Strand waren und ich beispielsweise eine Münze gefunden habe.

SK: Das war schon immer da, schon als kleines Kind hat mich das unglaublich interessiert. Bei mir sprang der Funke über, als ich mit meinen Eltern Pompeji besucht habe. Dort habe ich realisiert, dass das nicht nur Objekte sind, sondern dass da wirklich Menschen gelebt haben, Kinder gespielt haben – und das ist auch das, was mich bis heute unglaublich daran interessiert. Ich glaube, es geht den meisten Archäologen so, dass sie nicht den großen Schatz finden wollen, sondern eben mehr über das Leben der Menschen erfahren möchten. Und da kann selbst eine einzelne Scherbe, die vielleicht einem Besucher nichts sagt, für uns erstaunlich viele Informationen bieten.

Steht auch in Ihrer Freizeit Archäologie am Programm?

AHK: „Archäologie-frei“ gibt es bei mir im Prinzip nicht, was sicher auch daran liegt, dass mein Mann auch Archäologe ist – 24/7 Archäologie sozusagen. Aber ich habe auch andere Interessen wie Sport, Malen und nicht zuletzt über 200 Orchideen.

SK: Also wenn man in meine Wohnung kommt, merkt man, dass Archäologie meine große Leidenschaft ist. Rund 90 % meiner Bücher haben damit zu tun, auch Fotos von bekannten Ausgrabungsstätten hängen bei mir herum. Daneben habe ich aber auch viele andere Hobbys wie Race-Boarden im Winter oder Yoga. Und wenn es die Zeit erlaubt, verreise ich.

Franz Josef Böhm – Chronist des Mürztals

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Eisenhämmer gab es in Mürzzuschlag schon im Hochmittelalter und bereits 1360 erhielt der Markt das Vorrecht für die „alleinige Produktion von Kleineisen“ zwischen Leoben und dem Semmering.

Ein halbes Jahrhundert später, im Jahr 1862, erwarb Heinrich August Bleckmann (1826–1891) aus Solingen das Hammerwerk Phönix in Mürzzuschlag und gründete die Phönix-Stahlwerke Joh. E. Bleckmann – nach seinem Vater, dem Firmengründer in Solingen, Johann Elias Bleckmann benannt. Werkzeuge und diverse Waffenbestandteile wie Sensen und Klingen aus hochwertigem Edelstahl wurden hier produziert. An der Südbahnstrecke Wien–Triest gelegen, war die Lage des Hammerwerkes äußerst günstig.

Credit: Multimediale Sammlungen, Foto: Franz Josef Böhm Credit: Multimediale Sammlungen, Foto: Franz Josef Böhm

Durch den Ankauf umliegender Grundstücke wurde das Firmengelände sukzessive erweitert.

Bereits zwei Jahre später wurde der zuvor vor allem aus England bezogene Edelstahl selbst gefertigt. Die ersten Tiegelgussstahlöfen in Mürzzuschlag wurden in Betrieb genommen, die die Grundlage für die Herstellung des begehrten Phönix-Stahls bildeten. Der nun im eigenen Werk erzeugte Stahl wurde in den Wasserhämmern zu Stabstählen weiterverarbeitet. Die ab 1868 aus dem Phönix-Stahl hergestellten Feilen und Werkzeuge waren von so guter Qualität, dass sie bereits in den 1870er-Jahren bis nach Indien geliefert wurden.

Hammerwerke im benachbarten Ort Hönigsberg wurden zunächst angemietet, dann angekauft und zu Blechwalzwerken ausgebaut. Um das Problem des Transportes der erzeugten Ware zum Bahnhof in Mürzzuschlag zu beheben, wurde eine 4 km lange Schmalspurgleisanlage mit einer Spurbreite von 76 cm errichtet.

Credit: Multimediale Sammlungen, Foto: Franz Josef Böhm

Lokomotive „Lotte“, BJ. 1916, mit Personenwagen. Ab 1930 wurden die meist aus Mürzzuschlag stammenden Arbeiter/innen per Werksbahn nach Hönigsberg gebracht

1874 wurde der erste von vier Siemens-Martin-Öfen in Betrieb genommen, im Laufe der Jahre kamen eine Härterei, ein Stahlmagazin, eine Einwaage und Hilfsbetriebe hinzu, auch ein Labor wurde vor Ort angelegt. 1912 entwickelte der Chemiker Ing. Max Mauermann, Leiter der Bleckmann’schen Forschungsabteilung, die ersten nichtrostenden und säurebeständigen Chrom- und Chrom-Nickel-Stähle. Der erste gefertigte Gegenstand war die Klinge eines einfachen Küchenmessers, das zu Testzwecken in Adria-Meerwasser getaucht wurde. Diese Klinge befindet sich heute im Technischen Museum in Wien. Max Mauermann ging als Erfinder des nichtrostenden Stahls in die Geschichte ein. Die Mauermanngasse in Mürzzuschlag und die Max-Mauermann-Gasse in Wien erinnern noch heute an den Chemiker.

Im Ersten Weltkrieg änderte sich die Produktpalette: Nun wurden vorwiegend Schutzschilde, Kraftswerks- und Generatorenanlagen gefertigt. Dadurch widerfuhr „dem Standort […] eine überdimensionale Aufblähung“. Zur Zeit des Krieges lag der höchste Beschäftigungsstand bei etwa 4000 Arbeiterinnen und Arbeitern. Erst nach dem Kriegsende pendelte sich die Beschäftigtenzahl mit ca. 1500 Personen wieder auf dem Vorkriegsniveau ein.

Durch den kriegsbedingten Verlust der Absatzmärkte im Ausland, den Zerfall der Donaumonarchie, die Inflation und Währungsänderung sowie die Umstellung der Produktion und die gesunkene Produktivität aufgrund der schlechten körperlichen Verfassung der Arbeitnehmer/innen schlitterte das Unternehmen in eine Krise. 1921 wurden die Phönix-Stahlwerke Joh. E. Bleckmann in die Bleckmann-Stahlwerke AG umgewandelt. Nur vier Jahre später erfolgte die Fusion mit der Schoeller AG in Ternitz zur Schoeller-Bleckmann AG, ein Großteil der Produktion sowie die Auftragsbehandlung wurde nach Ternitz verlegt. Die Standorte in Mürzzuschlag und Hönigsberg wurden zu Nebenschauplätzen degradiert.

Credit: Multimediale Sammlungen, Foto: Franz Josef Böhm

Wasserkraft- oder Dampfkraftwerke versorgten die Anlagen mit dem nötigen Strom. Das Dampfkraftwerk VII in Hönigsberg mit einer Leistung von 6000 PS stand dem Feinblechwalzwerk Friedrichhütte zur Verfügung

1975 wurde die Schoeller-Bleckmann AG im Zuge der Fusionierung der österreichischen Edelstahlerzeuger der Vereinigte Edelstahlwerke AG angegliedert, 1988 dann durch die Neugründung der Fa. Böhler in Böhler und Schoeller-Bleckmann AG aufgeteilt, später als Böhler-Uddeholm AG teil- und dann vollprivatisiert. Seit 2007 gehören die ehemaligen Phönix-Stahlwerke Joh. E. Bleckmann zum Konzern der voestalpine.

 

 

Ein Tag mit … Marie Douatsop

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Reinigungskraft

Abteilung Interne Dienste, Referat Logistik

Während sich andere um fünf Uhr früh noch in ihren warmen Betten wälzen, heißt es für Marie Douatsop schon raus aus den Federn. Die Mitarbeiterin des Reinigungspersonals im UMJ hat nämlich keine Zeit zu verlieren. Um sechs Uhr beginnt ihr Arbeitstag im Museum für Geschichte und davor gilt es noch einiges zu erledigen: „Oft richte ich in der Früh noch die Jause für meine Kinder und dann muss ich mich schon fertig machen für die Arbeit.“

Der erste Weg im Museum für Geschichte führt Marie in die Waschkammer: „Hier drinnen ziehen wir uns die Arbeitsuniformen an, jeder hat hier seinen eigenen Spind“, erklärt sie. Als nächstes geht’s zum Leitstand. „Im Leitstand holen wir uns täglich die Zentralschlüssel, die wir für unsere Arbeit unbedingt benötigen. Die dürfen wir natürlich nicht behalten, sondern müssen sie immer nach unserem Dienst abgeben und in einer Liste vermerken, dass wir den Schlüssel wieder zurückgebracht haben,“ erklärt Marie die Sicherheitsvorschriften genau. „Wir“ sind übrigens Gabriele Pain, Lydia Schwarz und Marie selbst – das dreiköpfige Powerteam, das die 2.500 Quadratmeter große Ausstellungsfläche im Museum für Geschichte tagtäglich blitzblank hält. Und das ist noch nicht alles: „Natürlich müssen wir daneben auch die Büroräume, Stiegenhäuser und technischen Räume sauber halten.“

Der erste Weg im Museum für Geschichte führt in die Waschkammer zum Spind. 

Im Leitstand holt sich Marie immer den Zentralschlüssel. 

Deadline Museumsöffnung

Aber alles der Reihe nach: „Von sechs bis zehn Uhr herrscht bei uns Hochbetrieb. Bis zur Öffnung der Ausstellungen muss nämlich alles sauber sein, was für die Besucher/innen zugänglich ist, das hat oberste Priorität“, schildert die zweifache Mutter, die bereits seit drei Jahren im Reinigungsteam des UMJ tätig ist, und fährt fort: „Ziemlich stressig wird es, wenn sich Schulklassen schon früher anmelden. Dann muss manchmal schon um neun oder um acht Uhr alles fertig sein.“ Vitrinen, Wände, Böden, Toiletten … alles muss bis zur Öffnung glänzen. Zeit zum Ausruhen bleibt nach zehn Uhr aber trotzdem nicht: „Ab 10 Uhr kommen die Büroflächen, Stiegenhäuser und alle Räumlichkeiten an die Reihe, die für die Besucher nicht zugänglich sind“, so Marie.

Gänsehaut bei der Arbeit

Am liebsten putzt, wischt und fegt Marie in den Ausstellungsräumen: „Das ist immer am Spannendsten für mich. Man sieht all die interessanten Dinge, die ausgestellt werden. Bei der Ausstellung Bertl und Adele bekomme ich zum Beispiel immer Gänsehaut, weil mich das tragische Schicksal dieser Kinder so berührt“, erzählt Marie, sich schaudernd die Unterarme reibend, während sie durch den düsteren Gang der Ausstellung schreitet. „Die Tätigkeit beim UMJ hat mein Interesse an Geschichte wirklich geweckt“, so die Grazerin, die deshalb auch in ihrer Freizeit oder im Urlaub gerne die eine oder andere Ausstellung besucht. „Durch die Arbeit hier wird einem erst bewusst, wie viel Energie und Zeit hinter einem solchen Ausstellungsbetrieb steckt“, betont sie, während sie sorgfältig die Spiegelvitrine in der Dauerausstellung poliert.

Hochbetrieb: Bis zur Öffnung müssen alle Ausstellungsflächen glänzen. 

Gut gerüstet

Immer mit dabei auf ihrer Tour durchs Museum ist das Funkgerät, über das sich die Mitarbeiter verständigen. „Das brauchen wir, damit wir immer erreichbar sind und wenn beispielsweise ein Zugang frei- oder scharfgeschaltet werden muss“, erklärt sie. Und was muss sonst noch mit? „Natürlich der Schlüssel, Sicherheit ist hier wirklich sehr wichtig, und feste Schuhe“, immerhin spult Marie während ihrer Arbeit mehrere Kilometer herunter. Und eine weitere Sache darf bei der täglichen Arbeit nicht fehlen: Eine silberne Halskette, die sich meistens unter ihrer Arbeitsuniform versteckt. „Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich sie immer trage. Die Kette war ein Geschenk von meinem Mann“, lächelt Marie und zieht den Anhänger sorgfältig zurecht. Zwar nicht immer mit dabei, dafür aber der ganze Stolz der Reinigungstruppe im Museum für Geschichte ist ein selbst erfundenes Reinigungsgerät. „Durch die Sicherheitsnetze im Schaudepot ist es sehr schwer, alle Stellen mit unseren regulären Staubwischern zu erreichen, deshalb haben wir uns überlegt, wie wir eine Verlängerung kreieren könnten und et voilá, schon war der neue Swiffer fertig“, schmunzelt sie, während sie den praktischen Helfer unter dem Sicherheitsnetz verschwinden lässt, um die Staubflocken unter den Ausstellungsregalen herauszufischen.

Für ihre Putztour durchs Museum ist Marie immer gut ausgestattet.

Not macht erfinderisch: Die Swiffer-Verlängerung war ein Einfall des Reinigungsteams. 

Ordnung ist das ganze Leben

Anstatt nach einem anstrengenden Arbeitstag alle viere von sich zu strecken, heißt es auch bei Marie zu Hause noch Anpacken. Wenn man tagtäglich hinter anderen Leuten nachputzt, ist dann überhaupt noch genug Motivation übrig, um den Staubwischer auch zu Hause in die Hand zu nehmen? „Lust hat man natürlich nicht mehr wirklich, aber es muss auch sein“, lacht Marie achselzuckend.

Parlez-vous français?

Immer gerne in die Hand nimmt sie hingegen ein Buch: „In meiner Freizeit lese ich sehr gerne. Am liebsten sind mir Romane oder Biografien. Das Letzte, das ich gelesen habe, war ein Buch über Sophie Scholl“, schildert Marie, die sich hin und wieder auch durch französische Bücher wälzt, um ihre Muttersprache aufzufrischen. Auszeit nach einer arbeitsreichen Woche gönnt sie sich mit ihrer Familie im Schwimmbad oder in der Therme: „Ich liebe das Wasser einfach. Wann ich nur kann, fahre ich ans Meer!“, schwärmt Marie und wirft noch einen prüfenden Blick in den zuvor sorgfältig gesäuberten Raum im Schaudepot.

Bücherwurm: In ihrer Freizeit liebt es die zweifache Mutter zu lesen.

 

Tanz mit Fortuna

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Die launische Göttin des Glücks steht nicht nur für das gesteigerte Interesse der Frühen Neuzeit an der klassischen Mythologie und der daraus erwachsenen humanistischen Bildung. Sie symbolisiert nicht zuletzt auch die Gratwanderung einer ganzen Epoche, das Schwanken zwischen Glück und Unglück, Glanz und Elend. Einer Epoche, die fast ununterbrochen von Epidemien und Krieg heimgesucht wurde, war die Launenhaftigkeit des Glücks nur allzu sehr bewusst. Die in antikem Gewand vermittelte Botschaft allgegenwärtiger Gefahr steht über weite Strecken mit der christlichen Tradition in Einklang, wie einschlägige Bibelstellen vor Augen führen: Hiob verliert durch eine Reihe schwerer Schicksalsschläge nahezu alles, behält aber das Wichtigste – seinen Glauben. Daraus spricht eine Grundhaltung, die Hiob mit einer geistigen Hauptströmung des 17. Jahrhunderts gemeinsam hat, dem Stoizismus, der Gleichmut und klagloses Ertragen von Unglück lehrt.

Das Gleichnis vom reichen Kornbauern (Lukas 12,13–21) skizziert ein Gegenbild: Dem allein nach irdischer Sicherheit strebenden Menschen wird der baldige Tod angekündigt, seine scheinbar kluge Vorsorge ist damit fruchtlos. Die Beschwörung der Macht Fortunas enthält aber auch die Aufforderung an den Menschen, ungeachtet aller Unsicherheit seine Chance beherzt zu nutzen, seines Glückes Schmied zu sein. Der Wahlspruch des innerösterreichischen Regenten Erzherzog Karl II. (1540–1590) lautete: „Audaces fortuna iuvat – den Tapferen hilft das Glück“, ein Appell an die Selbstbestimmung des Individuums, wie er in besonderem Maße dem Menschenbild der Frühen Neuzeit entsprach.

Zero Gravity

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Zero Gravity in der von Sabine Adler als Treffpunkt von Wissenschaft und Kunst geleiten Eres Stiftung in München behandelt das gesellschaftliche Phänomen der Mondlandung 1969 und ist eine Ausstellung die im direkten Austausch mit dem Künstler entstand. Sie bringt dieses prägende Medienereignis in Form einer Zusammenschau aus Kunst, Design und Musik mit Quellen aus der Politik sowie wissenschaftlichen und technischen Instrumentarien so sinnlich und brillant vernetzt zusammen, dass die hochkarätige Ausstellung zu einer Wunderkammer eines Zeitraumes zwischen Protest, Utopie und Popkultur wird.

Raumansicht Zero Gravity mit Michelangelo Pistoletto / Foto: Katrin Bucher Trantow

Unweit des auratischen Raumanzugs von Neil Armstrong hören wir die eindringliche Stimme Kennedys, die am 12. September 1962 den USA verspricht, die erste Nation auf dem Mond zu sein. Mit eindringlichen Quellen schafft es die Ausstellung, historische Gegebenheiten wie den Hintergrund der Kubakrise und die gegenseitigen Schmähungen des Kalten Krieges bzw. den Wettlauf zwischen USA und UdSSR spürbar werden zu lassen: Propagandabilder der russischen Kosmonauten, Zeitungsberichte über den berühmten Hund Laika oder Mode à la Barbarella verweben sich mit künstlerischen Imaginationen wie den pneumatischen Architekturen von Coop Himmelblau, den Raum öffnenden Spiegelarbeiten von Michelangelo Pistoletto, den fantastischen künstlerischen Verschmelzungen von Architektur, Skulptur und Medienapparat des Österreichers Walter Pichler oder die Überlegungen zu Schwerelosigkeit in John Baldessaris konzeptueller Fotografie.

Zero Gravity, Walter Pichler / Foto: Katrin Bucher Trantow

Ganz besonders aber führen uns Peter Koglers verspiegelte und mit Op-artigen Linien durchzogene Raumgestaltung in die Zusammenschau ein, indem sie ein Gefühl des Schwindels evoziert und dabei von der Schwerelosigkeit und Endlosigkeit des Alls ebenso körperlich berichtet wie von einer technologischen Hochstimmung, die die Jahre jenes Aufbruchs prägten. Konsequent setzen sich diese Assoziationen und Gefühle mit der Musik der Schallplatten fort, die auf dem 1960 entworfenen „Wandregal 606“ zum Auflegen bereitstehen: So etwa David Bowies Space Oddity oder Werke von Komponisten wie John Cage und György Ligeti, deren klangliche Beschäftigung mit unendlichen Räumen sich in unserem verzogenen Selbst in Koglers morphenden Linien spiegeln.

Raumansicht Zero Gravity, COOP HIMMELBLAU/Foto: Katrin Bucher Tranotw

Mit: Ant Farm, Galina Balaschowa, Thomas Bayrle, Martha Boto, Lygia Clark, Attila Csörgő, Siegfried Ebeling, Stano Filko, Dan Flavin, Richard Buckminster Fuller, Gregor Hildebrandt, Anna Jermolaewa, Lukas Kindermann, Peter Kogler, Annie Leibovitz, Sonia Leimer, Sol LeWitt, Otto Muehl, Lowell Nesbitt, Nam June Paik, Walter Pichler, Michelangelo Pistoletto, Sigmar Polke, Wolf D. Prix / COOP HIMMELB(L)AU, Robert Rauschenberg, Fred Sandback, Hans Schabus, Richard Serra, Mark Wallinger, Andy Warhol, Lawrence Weiner

 

Informationen zur Ausstellung:

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Zu sehen in der Eres Stiftung bis 30. November 2019.

www.eres-stiftung.de


Die fotografische Dokumentation eines Seilbahnbaus – Die Errichtung der Materialseilbahn von Ratten nach Hönigsberg

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Am Südosthang der Fischbacher Alpen, in St. Kathrein am Hauenstein und im benachbarten Ratten, gab es ein bekanntes tertiäres Braunkohle-Vorkommen. In St. Kathrein existierte bereits um 1810/1820 ein alter Schacht, 1909 besaß der Mürzzuschlager Hotelier Toni Schruf hier die Bergwerksrechte und nannte die Grube Waldheimat. 1874 sollen im Bergwerk Ratten rund 200 Knappen beschäftigt gewesen sein.

Arbeiter mit einem Hunt vor dem Mundloch (Stollenöffnung) der Tonnlage (schräg verlaufender Schacht) des Antonistollens in St. Kathrein. Der untertägige Betrieb erfolgte von 1924 bis 1960. In diesem Zeitraum wurden hier 2,8 Mio. Tonnen Kohle abgebaut. 1950 erreichte man ein Maximum an Beschäftigten mit 570 Mann.
Credit: Multimediale Sammlungen, Foto: Franz Josef Böhm

1920 begann die Feistritztaler Bergbau- und Industrie AG mit dem großflächigen Abbau von Braunkohle in den beiden Ortschaften. Sie investierte in eine Materialseilbahn und trieb von 1924 bis 1929 den über 2,7 km langen Friedrichsstollen auf einer Höhe von 740 m von Ratten in die Kathreiner Mulde. Der Stollen diente der Kohleförderung, der Wasserlösung und dem Mannschaftstransport.

Die Materialseilbahn, erbaut in den Jahren 1922 und 1923, war damals die längste Seilbahn Österreichs mit einer Länge von ca. 12,7 km und 126 aus Holz errichteten Stützen.

Das Tragseil der Seilbahn hatte einen Durchmesser von 33 mm und bestand aus 37 Einzeldrähten (Litzen). Das Zugseil war mit einem Durchmesser von 27 mm etwas dünner. Ursprünglich waren 94 Hunte im Einsatz, deren Anzahl wurde bereits 1925 auf 160 Stück erhöht.
Credit: Sammlung Johann Friesenbichler, Foto: Franz Josef Böhm

Ihre vorrangige Aufgabe war der Transport der abgebauten Braunkohle in das Mürztal, um einen Frachtkostenvorteil gegenüber der Köflacher Kohle zu erreichen, die vor allem an die Bleckmann-Stahlwerke geliefert wurde.

Der Mürzzuschlager Fotograf Franz Josef Böhm dokumentierte den Bau der in fünf Streckenabschnitten errichteten Seilbahn. Eine Auswahl der Fotografien ist in der Sonderausstellung Franz Josef Böhm. Fotopionier des Mürztales des Rosegger-Museums zu sehen.

Die 62 m lange Station in St. Kathrein/Hauenstein mit Trafo und Spannvorrichtung: In den Stationen der fünf Streckenabschnitte wurden die Hunte auf den Durchgangsschienen händisch verschoben.
Credit: Multimediale Sammlungen, Foto: Franz Josef Böhm

Die Seilbahn führte von der Station Ratten, wo in der Sortieranlage das taube Gestein von der Kohle getrennt, die Kohlestücke nach ihrer Größe sortiert und in die Verladebunker gefüllt wurde, über die Stationen St. Kathrein, Hauereck, Gaiswand und Bärenkogel zur Endstation nach Hönigsberg.

Ab 1923 belieferte die Feistritztaler Bergbau- und Industrie AG die Bleckmann-Stahlwerke, dann Schoeller-Bleckmann AG. Ein Vertrag über die Lieferung von 100.000 t Kohle in 5 Jahren wurde abgeschlossen. Täglich sollten 20 bis 30 Wagons ins Mürztal zu Bleckmann und weiteren Endabnehmern via Südbahn geliefert werden.

Die End- und Entladestation in Hönigsberg. Der in Riegelbauweise errichtete Holzbau diente der Verladung der Kohle auf die Waggons der Bleckmann-Stahlwerke bzw. der Südbahn. Eine Schutzbrücke führte über die Gleise der Eisenbahn und verband die beiden Bauteile miteinander. Rechts ist der hölzerne Schutzkanal erkennbar, durch den die 20-kV-Leitung der Bleckmann-Stahlwerke führte.
Credit: Sammlung Johann Friesenbichler, Foto: Franz Josef Böhm

1935 pachtete die Steirische Kohlenbergwerk AG das Bergwerk von der Feistritztaler Bergbau- und Industrie AG, 1944 kaufte sie es. Als die Steirische Kohlenbergwerk AG 1947 in der Österreichischen Alpine Montangesellschaft aufging, übernahm diese auch das Bergwerk. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde der Bergbau 1960 eingestellt, auch die Seilbahn wurde stillgelegt und abgebaut. Die noch verbliebenen 15 Arbeiter der Seilbahngesellschaft fanden in der Schoeller-Bleckmann AG im Mürztal einen neuen Dienstgeber.

Weiterführende Informationen und Fotografien zum Bergbau in St. Kahtrein und Ratten sowie zum Bau der Materialseilbahn finden sich im Buch Industrie in Ratten. Kohlebergbau – Glashütte – Holzindustrie. Die Feistritztaler Aktiengesellschaften von Johann Friesenbichler.

„Wo Kunst geschehen kann. Die frühen Jahre des CalArts“

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Politisch korrekt ging es mit dem Zug um 6.30 von Graz los. Mit Umstieg in Wien und Nürnberg, Ankunft – pünktlich – um 17.30 in Hannover, waren wir (statt von Flug erschlagen) noch überraschend frisch, als wir aus der Bahnhofshalle in das auf den ersten Blick grau anmutende Hannover traten. Viele Häuser im Krieg zerbombt, einiges dabei zu schnell wiederaufgebaut, wirkt die Gegend um den Bahnhof wie auch in einigen anderen deutschen Städten zunächst wenig einladend. Umso auffallender das Gebäude der einflussreichen Kestner Gesellschaft, die von kulturbegeisterten Bürgerinnen und Bürgern als unabhängiger Kunstverein 1916 gegründet wurde (und bis heute von Privatpersonen und Firmen maßgeblich getragen wird). In diesem ehemaligen Schwimmbad, das im Krieg ebenfalls teilweise zerstört wurde, ist der Kunstverein untergebracht.

Die jetzige Leitung Christina Végh – eine ehemalige Kollegin von mir und Kuratorin aus der Kunsthalle Basel – hat dort zusammen mit Philippe Kaiser aus Los Angeles eine Ausstellung kuratiert, die sich dem California Institute of the Arts widmet. Dieses wurde nicht nur wegen seiner Gründung durch Walt Disney, sondern insbesondere wegen seiner ersten, wegweisenden Jahre und den Prägungen durch seine Lehrenden wie etwa John Baldessari, Judy Chicago oder Alison Knowles als progressive Ausbildungsstätte jenseits strikter Medientrennungen und rigider Lehrpläne berühmt.

Die Ausstellung, die sich erstmals anhand von zentralen Werken, Dokumentationen und Statements den Jahren 1971 bis 1978 widmet, bringt Werke von Schüler/innen und Lehrenden zusammen und zeigt die politische und kreative Stimmung der Zeit deutlich. Die aus heutiger Sicht wichtigsten amerikanischen und später auch internationalen Lehrenden schufen mit den Studierenden einen Ort der Freiheit, an dem Stereotypen von Geschlecht, mediale Grenzen von Werken und vor allem von Erfahrungen ausgelotet und verschoben wurden. Dass dieses Arbeiten bis nach Österreich strahlte und das Wirken zahlreicher progressiver Künstler/innen weltweit verband, bezeugt etwa eine Einladung der Wiener Aktionisten an das California Institute of the Arts in den späten 1970iger Jahren. Werke von John Baldessari, Matt Mullican oder Stephen Prina waren auch in der Neuen Galerie Graz oder im mumok in Wien zu sehen. Ab März 2020 werden wir diese Ausstellung aus Hannover im Kunsthaus Graz zeigen.

Am nächsten Morgen war es für mich – auch in Referenz an die Ausstellung „Peter Kogler with Fernand Léger with…“ eine Freude die Rekonstruktion des 1926 von Alexander Dorner installierten „Kabinett der Abstrakten“ von El Lissitzky in Sprengel Museum zu erleben. Wie Ferdinand Kiesler befasste sich El Lissitzky mit alternativen Formen des Zeigens von Kunst, um die Betrachter/innen aus ihrer Passivität zu holen und sprichwörtlich zu aktivieren.

Foto: Barbara Steiner

Begeistert waren wir von einer Ausstellung mit graphischen und literarischen Arbeiten von Kurt Schwitters, die auch wegen ihrer Lichtempfindlichkeit selten gezeigt werden. Seine Merzgedichte haben auch heute nichts von ihrer politischen Schönheit verloren.

Foto: Barbara Steiner

SENDEN und SOUND

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MHK: Radio Helsinki ist heuer ein wichtiger Kooperationspartner für unsere Aktionswoche „Siebdruck und Sound“, die wir im Rahmen der Ausstellung Connected. Peter Kogler with… im Kunsthaus Graz im Oktober 2019 veranstalten. Was wird unsere Besucher/innen bei euch im Space04 erwarten?

CH: Die Besucher/innen können im Space von Radio Helsinki viele Spielarten von Tönen, Sound und Funk ausprobieren. Vom Tonband-Bemalen und experimentellen Arbeiten mit Sound bis zur technischen Umsetzung und Erklärung von Funk gibt es einiges zu erleben.
Radio Helsinki wird sich als Freies Grazer Radio vorstellen und am Samstag es gibt die Möglichkeit, am Workshop „RadI/0“ mit der Soundkünstlerin Lale Rodgarkia-Dara teilzunehmen. Lale bildet übrigens seit vier Monaten gemeinsam mit Peter Petz auch die Geschäftsführung von Radio Helsinki.

MHK: Warum sind analoge Radiosendungen in Zeiten digitaler Streamingkultur noch immer wichtig?

CH: Radio Helsinki sendet 24 Stunden im Raum Graz, wobei das Programm von rund 200 Menschen in 11 Sprachen gestaltet wird. Mit unterschiedlichsten Formaten und Sendeschwerpunkten werden wichtige politische und kulturell relevante Themen angesprochen. Radio Helsinki ist ein Community-Radio und zugleich ein sozialer Ort, an dem Austausch stattfindet. Die Sendungen von Radio Helsinki reflektieren auch die Grazer Gesellschaft.

LRD: Ich denke, dass so ein anachronistisches Medium wie Radio in den letzten Jahren stark an Relevanz verloren hat. Das betrifft natürlich nicht nur Radio Helsinki, sondern viele Medien. Wenn ich mit unter 20-Jährigen spreche, so erzählen sie mir, dass sie Radio meist nur im Auto der Eltern hören. Mit der „Fridays for Future“-Bewegung, an der sich das Radio seit Kurzem mit einer selbst organisierten Tipping-Point-Redaktion beteiligt, ist es bald aus mit dem Autofahren – und wo sollen die unter 20-Jährigen da noch Radio hören? Nein, so schnell geht das natürlich nicht – auch wenn wir beim „Earth Strike“ mitgemacht haben. Aber zurück zum Radio: Für uns ist es wichtig, in Zeiten von ungreifbarem, fluidem Mediennutzungsverhalten eine Konstante zu erzeugen, und zwar sowohl im realen Raum als auch im Äther und Internet. Die Freien Radios in Österreich – zur Zeit sind es 14, die im Verband der Freien Radios organisiert sind – waren in den letzten Jahren durchwegs Innovatoren. So gibt es seit vielen Jahren Podcast-Abos auf der CBA, dem gemeinsamen Archiv der Freien Radios – und flutsch: Heute ist das total en vogue und wir schauen alt aus. Ich denke, dass wir diese Innovationen immer – zum Teil auch unbewusst – mitgetragen haben und dass sie heute mehr in der sozialen Komponente stecken. Wir sind ein Ort, an dem die sprichwörtliche segregierte Gesellschaft, die uns im Alltag in Echokammern und Lebensräumen begegnet, ein wenig ausgehebelt wird. Das ist natürlich auch nicht friktionsfrei, aber ein eindeutiges Signal gegen Homogenisierung und Normierung. Die Faszination am Radio teilen ganz unterschiedliche Menschen und diese Pluralität gilt es zu pflegen und weiterhin zu ermöglichen.

© Lale Rodkarkia-Dara

Zusätzlich kommt der große Vorteil des Low-Tech. Ich kann mit relativ einfachen Mitteln analog Radio machen, also auch denjenigen einen Ort für ihr Wort geben, die ihn sonst nicht haben. Das wird in den nächsten Jahren eine wichtige Funktion des Radios sein, denn zum Radiomachen muss man in keiner Sprache alphabetisiert sein. Das klingt natürlich ein wenig sozialromantisch, denn genau diese Funktion haben wir schließlich in den vergangenen Jahren an Social Media abgegeben. Aber wir haben Strukturen geschaffen und versuchen sie stetig auszubauen, wir behalten die Deutungshoheit und die Wahrung sowie Wartung in greifbarer Nähe. Und wir gehen Kooperationen ein – mit mur.at oder Funkfeuer auf der einen Seite und Organisationen wie dem Kunstverein, ISOP, Mafalda oder jetzt dem Kunsthaus auf der anderen. Wir sind eine Community und für diese da, ohne in einem von „Blut und Boden“ getränkten Provinzialismus zu schwimmen.

Ich denke, dass das Radio in Zeiten von Deep Fake massiv seine Gatekeeper-Funktion stärken muss und darin sehe ich eine weitere Chance fürs Überleben von Community-Medien. Wer sagt mir, dass Videos oder Audiomitschnitte keine Fälschungen sind? Hier ist es ganz wichtig, dass nicht nur in elitären Kammerln, sondern in einer breiten Gesellschaft ein Bewusstsein geschaffen wird. Momentan versuchen wir gerade als erstes Freies Radio in Österreich eine digitale Archivarin zu finanzieren, durch ein Archiv auch professionelle Recherche und Erinnerungskultur zu pflegen und gleichzeitig für sichere, verschlüsselte Kommunikation zu sensibilisieren und auszubilden. Im kommenden Jahr haben wir im Rahmen von „Graz 2020“ ein Soundscape-Projekt laufen, wir veranstalten unzählige Workshops und in den kommenden Jahren werden wir uns um die Grazer/innen kümmern – als Radiomacher/innen ebenso wie als Hörer/innen. Du hast natürlich auch die Möglichkeit, Mitglied bei uns zu werden.

© Walther Moser

MHK: Was ist euch bei euren Produktionen wichtig?

CH: Die Vermittlung von experimentellem und handwerklichem Zugang zu Sound und Ton und ein einfaches, niederschwelliges Kennenlernen von Radioarbeit.

LRD: Claudia skizziert es genau. Hier im Kunsthaus steht die medienpädagogische und künstlerische Position im Vordergrund. Im Radio gibt es neben der künstlerischen und medienpädagogischen Seite noch die wissenschaftliche, kulturelle, technische, soziale und journalistische und noch rund 200 radiomachende Positionen.

CH: Bei uns werden aktuelle gesellschaftspolitische Themen angesprochen. Unser Radio wird von Grazerinnen und Grazern aus unterschiedlichen Umfeldern gestaltet. Wir haben eine Vielzahl an Zugängen zur Radioarbeit – ob Musiksendung oder Nachrichtenformate. Radio Helsinki ist als Community in Graz eine wichtige Drehscheibe von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus dem sozialen und kulturellen Umfeld.

 

Info zu Radio Helsinki:

Radio Helsinki, das Freie Radio in Graz, betreibt auf der Frequenz 92,6 MHz ein nichtkommerzielles, werbefreies und gesellschaftspolitisch engagiertes Radio mit offenem Zugang, das im Großraum Graz zu empfangen ist. Das Freie Radio bietet vor allem gesellschaftlich und medial unterrepräsentierten Gruppen sowie der lokalen und regionalen Kunst-, Kultur- und Musikszene Raum zur multimedialen Selbstrepräsentation im Großraum Graz. Radio Helsinki mischt sich in gesellschaftliche Auseinandersetzungen ein und greift Themen auf, die im medialen Mainstream nicht oder zu wenig vorkommen.

Mit seinen rund 200 Sendungsmachenden und 130 verschiedenen Sendungen in 11 Sprachen sowie einem multiprofessionellen Team versteht sich Radio Helsinki sowohl als Teil der kritischen regionalen Zivilgesellschaft als auch als Teil einer internationalen freien Medienszene, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, demokratische Diskurse zu fördern.

 

Claudia Holzer ist als freie Medienpädagogin und Tontechnikerin in unterschiedlichen Grazer Institutionen tätig. Sie ist seit 2002 Sendungsgestalterin bei Radio Helsinki – Freies Radio Graz und aktives Vereinsmitglied. Von 2012 bis 2013 war sie im Vorstand von Radio Helsinki. Zusätzlich ist sie in der freien Theaterszene aktiv, was einen experimentelleren Zugang zu Licht- und Tontechnik sowie Videosound einschließt. Ihre radiophilen Arbeiten reichen von Hörspiel bis zum Sampling.

 

Lale Rodgarkia-Dara ist seit 2019 strategische Geschäftsführerin von Radio Helsinki. Sie werkt als Medieninstallateurin, Elektroakustikerin und Autorin in Wien und Graz. Sie erfindet Projekte mit Literatur, medialer Kunst und zumeist in transitorischen Räumen oder im Radio. Sie ist Gründerin der Elektronik Teatime (existent bis 2015) und Wiener Produzentin im internationalen Kunstradio-Netzwerk radia (radia.fm), Teil des Kollektivs Mz. Baltazar’s Laboratory (www.mzbaltazarslaboratory.org) und beteiligt sich an verschiedenen Kollektiven. Sie ist als Lektorin an verschiedenen Universitäten tätig, z. B. TU Wien – SKUOR, Kunstuniversität Graz (2017/18) oder Akademie der bildenden Künste in Wien.

 

Monika Holzer-Kernbichler leitet die Kunstvermittlung im Kunsthaus Graz und in der Neuen Galerie Graz. Sie studierte Kunstgeschichte in Graz und ist seit 1993 in der Kunstvermittlung tätig. Von 2000 bis 2005 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des „SFB Moderne – Wien und Zentraleuropa um 1900“ an der Karl-Franzens-Universität Graz, von 2005 bis 2008 Mitarbeiterin der Museumsakademie Joanneum. Seit 2008 leitet sie die Kunstvermittlung am Kunsthaus Graz, seit 2011 auch die Kunstvermittlung der Neuen Galerie Graz. Als Lektorin für Kunstgeschichte ist sie seit 2005 an der Karl-Franzens-Universität Graz tätig. Zudem ist sie Fachbeirätin für bildende Kunst der Stadt Graz.

 

Es ist Geschichte: Connected. Peter Kogler with … George Antheil with Friedrich Kiesler with Hedy Lamarr with Fernand Léger with museum in progress with Otto Neurath with Charlotte Perriand with Franz Pomassl with Winfried Ritsch with Franz West …

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Mit ein Grund für den großen Erfolg ist sicherlich, dass in der Ausstellung – in der sich Gegenwart und Vergangenheit, aber auch Autorschaften und Bildebenen zu einer visionären Gesamtkomposition verbanden – brandaktuelle Themen wie Multidimensionalität und vernetztes Denken sichtbar wurden. Das Kunsthaus, das in der Ausstellung zum erlebbaren Medium wurde, zeigte sich als individuelles Wahrnehmungsinstrument: Nicht wenige erlebten etwa die eigene Bewegung durch den Raum in Koglers Medieninstallationen gespiegelt und das audiovisuelle Netz, das sich in den Räumen auftat, als Visualisierung des eigenen Denkens. Über die Dauer der Ausstellung gab es entlang dieser Themen ein breites Vermittlungsangebot: Von Führungen für Pädagoginnen und Pädagogen, Schul- und Kindergartengruppen sowie Studierende über Formate zur Bildbetrachtung, Vernetzungsworkshops oder eine Druckwerkstatt wurde ein breites Publikum in die Ausstellung eingebunden.

© Universalmuseum Joanneum/Kunstvermittlung

Am 18.10. wurde das letzte Wochenende der Schau mit einem dreiteiligen Finissage-Abend eröffnet: Am Instrumentarium des Ballet mécanique wurden eigens komponierte Minutenkonzerte und experimentelle Klangkompositionen vom Erbauer des robotischen Ensembles Winfried Ritsch und Studierenden der Kunstuniversität Graz aufgeführt. Danach folgte ein Gespräch zwischen dem Psychoanalytiker und Mitherausgeber der Zeitschrift „texte – psychoanalyse. ästhetik. kulturkritik“ August Ruhs, dem Künstler Peter Kogler und der Kuratorin Katrin Bucher Trantow, die den reflexiven Einfluss des Medienzeitalters auf Koglers Schaffen über die Jahre analysierten. Koglers sich rhythmisch wiederholende Bildwelten beschrieb Ruhs etwa als eine Form der Selbstbestätigung des Publikums, wenngleich sie auch den seit der Moderne anhaltenden Dialog zwischen Mensch und Maschine, das Unheimliche und die Angst vor den eigenen Prothesen in sich tragen.

© Universalmuseum Joanneum/M. Grabner

Anschließend ging es auf den Schlossberg zum Live Act mit Album Release Party von Seismik Krew aka Franz Pomassl und den DJs HEAP & BOCKSRUCKER [Neubau]. Sounds aus Fossilienerkundungen und seismischen Datenerfassungen wurden zu einer Live-AV-Spectrum-3-D-Concert-Performance umgewandelt. Eine Erfahrung, die mit dem ganzen Körper gemacht wurde: In der idealen Location der in den Fels geschlagenen Gewölbe der Uhrturmkasematte widerhallte das Mineralische unübertrefflich bizarr in Auge, Bauch, Ohr und Berg.

© Universalmuseum Joanneum/M. Grabner

Am Samstag und Sonntag führte Peter Kogler gemeinsam mit mir noch einmal letzte Besucher/innen spontan und persönlich durch die Ausstellung, während das engagierte Vermittlungsteam neben Ausstellungsführungen ein gut besuchtes „Open House“ für alle von 4 bis 99 Jahren anbot: In der Needle war gemeinsam mit dem Kunstverein ROTER KEIL eine herrlich benutzbare Siebdruckwerkstatt eingerichtet und im Erdgeschoss ließen sich gemeinsam mit dem Team von Radio Helsinki Sounds in der Radioproduktion erfahren.

Ein reichhaltiges Projekt, das viele Menschen zusammenbrachte, geht damit zu Ende.

Allen Beteiligten, Unterstützerinnen und Unterstützern sowie den zahlreichen Interessierten aus nah und fern sei hiermit nochmals herzlich gedankt! Last but not least: Vielen Dank auch dir, lieber Peter Kogler!

Katrin Bucher Trantow

Veliko Tarnovo, Arbanassi und die Stiftung des Künstlers Plamen Dejanoff

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Sofia, Alexander-Battenberg-Platz, Fundamente des ehemaligen Bronze House von Plamen Dejanoff, © Barbara Steiner

Bei meinem jüngsten Besuch in der bulgarischen Hauptstadt waren davon nur mehr die Bodenbefestigungen zu sehen. Doch war das Hauptziel meiner Reise diesmal nicht Sofia, sondern Veliko Tarnovo.

Stadtansicht von Veliko Tarnovo, © Barbara Steiner

Eine Stiftung für die Kunst

Veliko Tarnovo und das nachgelegene Arbanassi sind mit Plamen Dejanoffs Familiengeschichte auf das Engste verbunden und ein wesentlicher Bezugspunkt der Werkserie Foundation Requirements, die wir im Rahmen der Ausstellung Kunst Handwerk im Kunsthaus Graz zeigen werden. Bereits 2006 hatte Dejanoff die aufwendige künstlerische Produktion seiner Arbeit nach Bulgarien ausgelagert. Mehr noch, er versuchte, westliche Kunstinstitutionen, Galerien, Verlagshäuser etc. zu überzeugen, ihre Aktivitäten ebenfalls dorthin zu verlegen bzw. in Bulgarien zu investieren. Eine entwickelte Infrastruktur für zeitgenössische Kunst, öffentliche und private Unterstützung gibt es in Bulgarien kaum – mit ein Grund für Dejanoff, 2010 ebendort eine Stiftung zu gründen, deren Ziel es ist, zeitgenössische Kunst in der öffentlichen Wahrnehmung Bulgariens zu verankern und spezifische Projekte – wie etwa Bronze House und Foundation Requirements – umzusetzen. Die Stiftung wird von einer Reihe von Institutionen und Privatpersonen unterstützt.

Die Vergangenheit

Arbanassi, Wohnhaus aus dem 15. Jahrhundert, © Barbara Steiner

In Dejanoffs Stiftung sind bis zu diesem Zeitpunkt ein Wohnhaus aus dem 15. Jahrhundert, ein Badehaus aus dem 16. Jahrhundert in Arbanassi sowie drei Häuser aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert in Veliko Tarnovo eingebracht, die seiner Familie im Zuge eines Restitutionsverfahrens vom bulgarischen Staat rückerstattet wurden. Ferner besitzt die Stiftung mehrere Sammlungen, deren Bestände laufend ergänzt werden: zirka 18.000 historische Dokumente zur Geschichte Bulgariens, 190 Werke zeitgenössischer Kunst, mehr als 2.000 Bücher über Kunst, Architektur, Mode, Film und Design. Die Gebäude sollen künftig öffentlich zugänglich gemacht werden und Ausstellungen zu ihrer Geschichte und von zeitgenössischer Kunst zeigen.

Arbanassi, Wohnhaus aus dem 15. Jahrhundert (innen), © Barbara Steiner

Veliko Tarnovo und Arbanassi sind jedoch nicht nur mit der Biografie Dejanoffs eng verbunden, sondern auch mit der Geschichte Bulgariens. Sie sind im Grunde bis heute Teil einer nationalen Erzählung, die immer wieder überschrieben wurde. Jährlich reisen Hunderttausende Touristinnen und Touristen an diese Orte, deren Bedeutung einem auf Schritt und Tritt begegnet.

Arbanassi, Kirche der heiligen Erzengel Michael und Gabriel, Fresken 18.Jhd., © Barbara Steiner

Arbanassi, Kirche des Heiligen Georg, Fresken (Detail: Höllenschlund) 1710, © Barbara Steiner

Alte Techniken werden reaktiviert

In Veliko Tarnovo habe ich erfahren, dass Le Corbusier, einer der Architekten der Moderne, vor allem von der sogenannten „Stecktechnik“ fasziniert war, die heute noch in vielen alten Gebäuden, auch in seinen eigenen, zu finden ist. Auch Dejanoff wendet die Stecktechnik Jahrzehnte später in seinen Objekten an, für Decken, Paneele, Fußböden und Türen. Dabei werden die einzelnen Teile nur durch Holzstifte und -winkel zusammengehalten. Von anderen wird diese Technik heute so gut wie nicht mehr eingesetzt, ihre Ausführung ist einfach zu aufwendig und teuer.

Plamen Dejanoff, Foundation Requirements (Raumverkleidung), 2014, Courtesy Galerie Emanuel Layr Wien/Rom, Foto Ursula Blickle Foundation Kraichtal

In jüngster Zeit hat sich Dejanoff mit Hilfe eines älteren Steinmetzes Techniken zur Steinbearbeitung angeeignet. Auch diese Kenntnisse wendet er nun für seine Gebäude an. Eine dieser Mauern wird auch in der Ausstellung zu sehen sein.

Eine Steinmauer entsteht… © Barbara Steiner

In den internationalen Ausstellungen verweisen die Architekturfragmente auf einen abwesenden, entfernten Ort und auch auf eine andere Zeit. Dejanoff gelingt es mit seiner Arbeit nicht nur Aufmerksamkeit für alte Handwerkstechniken zu erzeugen, sondern auch für eine Region in der europäischen Peripherie. Vor Ort, in Veliko Tarnovo und Arbanassi, liegt der Fokus der Wahrnehmung auf lokalen Handwerkstraditionen und dem reichen kulturellem Erbe des Landes, das nur sehr langsam ins öffentliche Bewusstsein dringt. Das meiste, das man vor Ort zu sehen bekommt, ist stark folkloristisch überformt. Dejanoff geht es nicht um Authentizität, sondern darum, Konstruktionen und Bautraditionen, die in seinen Gebäuden zu finden sind, freizulegen. Und er sucht einen öffentlichen Diskurs darüber anregen, ob es tatsächlich noch ein Hotel, ein Restaurant und einen Souvenirshop braucht, oder ob es nicht an der Zeit ist, der Baukultur selbst mehr Stellenwert einzuräumen.

Veliko Tarnovo, Wohnhaus 17. Jahrhundert, © Barbara Steiner

Im Kulturministerium in Sofia

In Sofia traf ich Ekaterina Djumalieva Direktorin der Abteilung Kulturerbe, Museen und bildende Kunst im bulgarischen Kulturministerium, um über künftige Kooperationen zwischen dem Kunsthaus Graz und der Stiftung von Plamen Dejanoff zu sprechen und eine mögliche Unterstützung vonseiten des Ministeriums zu sondieren. Wir würden gerne die Präsentation im Kunsthaus mit Aktivitäten in Veliko Tarnovo und Arbanassi verbinden.

Ekaterina Djumalieva und Barbara Steiner, © Barbara Steiner

Top oder Flop? Das Kunsthaus Graz bleibt im Gespräch

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Das ist ein Kompliment an die Architekten Peter Cook und Colin Fournier sowie an alle, die den Mut hatten, auf dieses Gebäude zu setzen.

Zehn europäische Bauwerke wurden für einen Besuch empfohlen, darunter das spektakuläre Museum of European and Mediterranean Civilisations in Marseille oder die Oodi central library in Helsinki. Bewertet wurde große europäische Architektur, die sich besonders gut in ihre Umgebung einfügt beziehungsweise einen spannenden Kontrast dazu herstellt.

Wenige Tage vor dem Artikel im „Guardian“ bezeichnete ein Landespolitiker (der FPÖ) das Kunsthaus als „steirische Elbphilharmonie“. Die Hamburger Elbphilharmonie zieht jährlich Hunderttausende von Besucherinnen und Besuchern an, die Konzerte sind über Jahre ausgebucht. Die Elbphilharmonie geriet in Kritik, weil das Budget um ein Vielfaches überschritten wurde. Doch hier hinkt der Vergleich mit dem Kunsthaus Graz: Dessen Baukosten wurden nämlich nicht überschritten. Das ist bei einem solch ehrgeizigen Bauprojekt im internationalen Vergleich ungewöhnlich und verdankt sich einer enormen Leistung der Bauausführenden.

Unser „Friendly Alien“ strahlt in die Welt aus und zieht Besucher/innen an. Doch nicht nur das Gebäude: „Auch die Ausstellungen zeitgenössischer Kunst sind einen Blick wert“ – so der „Guardian“. Wer es nicht glauben mag: einfach vorbeikommen und sich selbst davon überzeugen! Wir freuen uns über die Anerkennung.

Augmented Reality im Center of Science Activities – Im Gespräch mit Anika Kronberger und Kai Wegner

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Wie seid ihr zum CoSA-Projekt gekommen?

AK: Ich habe mich 2017 als Gestalterin mit meinem Team für das Projekt beworben – damals war noch nicht klar, für welchen Bereich, das wurde noch offengehalten.

KW: Ich arbeite bei der Digital-Agentur Exozet. Wir sitzen in Berlin, Hamburg und Wien. Für unsere Kunden entwickeln wir sehr spezielle Softwarelösungen im Bereich Video-Management, Mobile Apps und (Serious-)Games – von interaktiven und edukativen Spielen bis hin zu Softwares für Aus- und Weiterbildung in der Industrie. Wir arbeiten oft an Projekten, die einzigartig sind, die zuvor noch niemand auf diese Art gemacht hat.

Genau deshalb haben wir uns für das CoSA-Projekt beworben. Es geht hier um die Vereinigung von innovativer Hardware und dem spielerischen Lernen, was wir aus „Serious Games“ kennen. Dafür war unser Vorschlag der begleitende Roboter – der H.I.G.G.S. getauft wurde.

Wie genau sieht eure Arbeit im CoSA aus?

AK: Ich komme aus dem Bereich Grafik, Ausstellungsgestaltung und Contentstrategie. Für das CoSA habe ich mich mit vier sehr lieben Kollegen verbündet und wir haben uns das ersten Mal in dieser Konstellation zu fünft als Team zusammengetan – Dominikus Guggenberger, Daniel Fabry, Jakob Pock und Michael Altendorfer. Das hat wunderbar funktioniert, da wir schon in verschiedenen Ausstellungsprojekten zuvor Berührungspunkte hatten.

Es gab keine vordefinierten Aufgabenbereiche – jeder hat aber seine Spezialgebiete und so haben wir – je nachdem, was zu tun war – die Aufgaben relativ spontan verteilt. Anfangs waren die Hauptaufgaben unseres Teams die Konzeption, Storyentwicklung, Raumgestaltung und die gestalterische und technische Entwicklung der Exhibits. Zum Schluss waren es die Ausarbeitung und die finale Umsetzungskoordination.

KW: Das Exozet-Team für die Erstellung der Experience setzt sich aus Sara Urbach (Projektmanagement), Anselm Kegel (Lead Developer) und Fin Ambsdorf (Game Design) zusammen. Zusammen mit dem Gestalter/innen-Team haben wir die Story und Exhibits entwickelt. Dabei mussten wir kontinuierlich auf die technischen Gegebenheiten der AR-Brillen achten und unser Gamification-Konzept im Kopf behalten.

Meine Rolle war dabei, den Einsatz der AR-Brillen im Rahmen der Ausstellung zu optimieren. Außerdem war ich für die Programmierung der Netzwerkkommunikation und die Erstellung einiger Exhibitgafiken und -animationen zuständig.

Zwei Augmented-Reality-Brillen, die die Ruhe vor dem Sturm noch genießen.

Ein gemeinsamer Entwurf, ausgearbeitet von Kai Wegner zum AR-Raum “Aurora Borealis” mit dem Begleiter H.I.G.G.S.

Wie war die Herangehensweise an dieses Projekt?

AK: Es gibt keinen definierten Ablauf, wie man an so ein Projekt herangeht. Mit 40 AR-Brillen auf 250 m2 Geschichten zu erzählen, ist etwas völlig Neues – es gab ein ungefähres Konzept, aber das wurde sehr offen gehalten. Wir haben sozusagen den Prozess am Weg erfunden. Einerseits war das Projekt inhaltlich noch sehr offen, andererseits auch, wie man überhaupt zusammenarbeitet – vor allem, weil die Firma Exozet, mit der wir kooperieren, in Berlin sitzt und dadurch keine räumliche Nähe vorhanden ist. Zu allererst mussten wir uns mit der Materie auseinandersetzen. Mit Augmented Reality haben wir zwar schon gearbeitet, aber nicht auf diese Weise. Die Frage war: Was können wir im realen Raum machen, um das Erlebnis mit diesen Brillen zu unterstützen?

KW: Die Story mit dem Roboter als Kompagnion, der durch die Räume führt und eine Backstory und ein Ziel hat, war das Einzige, was von Anfang an klar war. In so einem Fall arbeiten wir viel mit Prototypen. Das heißt, wir testen absehbar kritische technische Aspekte des Projektes möglichst früh einzeln, um frühzeitig zu lernen. Inhaltlich haben wir eng mit dem Team vom FRida & freD – Das Grazer Kindermuseum und Anika Kronberger zusammengearbeitet, um uns ein Thema zu suchen und es schrittweise herunterzubrechen.

Wir haben schon seit einiger Zeit Anwendungen für diese AR-Brillen (Hololens) entwickelt, aber bisher noch nicht in diesem Umfang, und eine Ausstellung dieser Komplexität und Größe wurde bisher noch nie mit so vielen Hololenses bespielt. Das hielt inhaltlich wie technisch viele Herausforderungen für uns bereit.

Gibt es ein vergleichbares Projekt, an dem ihr euch orientieren konntet?

KW: Ein Museum oder Science Center, wie es das CoSA ist, mit Augmented-Reality-Brillen und Storytelling gibt es so noch nicht. Natürlich sind Elemente, mit denen wir vertraut sind, vorhanden – wir haben schließlich schon mit AR gearbeitet, aber nicht auf diese Weise. Das kann man mit Lego vergleichen: Du kennst es, aber du baust damit etwas Neues. Inspiration findet man zum Beispiel bei anderen Spielen oder Filmen, die Roboter als Begleiter haben, und passt dann Charakterzüge individuell an.

Wie konntet ihr zusammenarbeiten?

AK: Da 3-D-Renderings und Grafiken nicht ausgereicht haben, um die Ideen auszutauschen, sind wir in eine virtuelle Welt übergegangen, mit VR-Brillen. Da wir es hier ja mit Realraum-Gestaltung in Interaktion mit virtuellen Inhalten in den Brillen zu tun haben, musste sich etwas finden lassen, das das annähernd simulieren konnte.

KW: Wir haben uns im virtuellen Raum, einem Replikat des Science Centers, getroffen. Neue Pläne der Ausstellung hat uns das Team der Gestalter regelmäßig bereitgestellt. Diese konnten wir in den virtuellen Raum für gemeinsame Abstimmungen übertragen. Dort haben wir uns wöchentlich getroffen – man konnte hier die Köpfe der anderen Teilnehmer/innen als Avatare sehen. So war es uns möglich, zusammen durch den Raum zu gehen und die Exhibits zu besprechen. Natürlich haben wir auch Google Docs genutzt, um Inhalte und Konzepte zu entwickeln.

Foto: Kai Wegner

Foto: Kai Wegner

Was waren die größten Herausforderungen?

AK: Was den Arbeitsprozess betrifft: dass man nicht zusammen in einer Stadt sitzt und trotz der Distanz der Teams einen sinnvollen Weg der Zusammenarbeit finden muss. Wo und wie führt man die Ideen am besten zusammen? Wir haben auch viel ausprobiert, um sowohl haptisch interessante als auch gestalterisch ansprechende Räume zu schaffen.

KW: Das ganze Projekt war eine Herausforderung, deshalb haben wir uns ja beworben. Aber ein sehr interessanter und herausfordernder Part war die Zusammenarbeit mit der Realität. Wie kann man Virtuelles und Reales miteinander verbinden? Auch die Kooperation mit den anderen Teams, die vor Ort waren und wir eben nicht, da unser Sitz in Berlin ist, war eine Herausforderung, aber wie schon erwähnt, haben wir gute Lösungen gefunden, um zu kommunizieren.

Welche Phasen haben am meisten Zeit beansprucht?

AK: Die Phase der Storyentwicklung – was kann man den Besucherinnen und Besuchern bieten bzw. zumuten? Von Anfang an war klar, dass Inhalte nicht klassisch, mit Daten und Fakten erzählt werden, sondern auf spielerische Weise auch ernstere Themen, die zum Nachdenken anregen, angesprochen werden sollen. Wir haben auch immer versucht, die Ideen sofort prototypisch in unserer Werkstatt umzusetzen, damit wir sehen konnten, ob das überhaupt so funktioniert. Ob die reale und die virtuelle Welt auf diese Art miteinander „vermischt“ werden können.

Die Verschmelzung zwischen den beiden „Räumen“ ist genau das, was uns am Projekt gereizt hat. Dieser Moment der „Magie“, der erzeugt wird, wenn man in der realen Welt etwas bewegt und in der virtuellen damit etwas bewirkt, oder das Virtuelle Auswirkungen auf die reale Umgebung hat. Zum Beispiel kann man bei einer Station an einem Hebel ziehen und sehen, wie unser virtueller Begleiter H.I.G.G.S. beim Fenster rausfliegt und einem plötzlich ein realer Windstoß entgegenkommt. Meistens wird AR nur so angewandt, dass in der realen Welt etwas Virtuelles eingefügt wird, beispielsweise in der Industrie oder Fahrzeugentwicklung.

Wie sind Raum- und Storyentwicklung vorangegangen?

AK: Hand in Hand. Die Entwicklung verlief parallel in vielen Abstimmungsrunden. Hier haben sich die Expertisen der Teams getroffen, unsere in der Raumgestaltung und Interaktion und die von Exozet, die wussten, was mit AR alles möglich ist.

Was gefällt dir am CoSA am besten?

AK: Ich finde es schön, dass es verschiedene Räume mit unterschiedlichen Themen und Herangehensweisen gibt. Außerdem ist es interessant, dass verschiedene Gestalter/innen am Projekt mitgearbeitet haben. So sind viele Teams involviert, was natürlich auch mutig ist, aber so können völlig unterschiedliche Räume entstehen und werden viele verschiedene Geschmäcke getroffen.

KW: Ich bin ein riesiger Fan von Science Communication. Kindern und Jugendlichen, aber auch erwachsenen Menschen muss man immer wieder die Denkweisen und Erkenntnisse der Wissenschaft vermitteln. Ich finde es wichtig, sich redlich Mühe zu geben, diese Inhalte zielgruppengerecht aufzubereiten. Wissenschaft ist schließlich kein Selbstzweck.

Daher finde ich den Ansatz, im CoSA-AR-Bereich mit einer interessanten Geschichte wissenschaftliche Inhalte zu vermitteln, hervorragend. Ich hoffe, dass in der gesamten Ausstellung etwas für jede/n dabei ist, damit alle Besucher/innen in den Genuss eines Aha-Momentes kommen können.

Einblicke in die AR-Welt:

Mehr Infos zu A(R)dventure und zur Termin-Buchung im CoSA Graz gibt´s auf unserer Webseite.

Fotos: Kai Wegner, Alina Lerch

Videos: Nadja Eder, Exozet


Interview mit … Eva Ofner. Was es für ein Museum bedeutet, barrierefrei zu sein

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Was genau bedeutet eigentlich Barrierefreiheit im Museum?

Barrierefreiheit bedeutet, dass es im ganzen Museum keinerlei Hindernisse für jede einzelne Besucherin und jeden einzelnen Besucher geben soll, damit sich alle willkommen und gut aufgehoben fühlen. Die Einhaltung der Ö-Normen ist gesetzlich geregelt. Wir versuchen aber immer ein bisschen mehr zu tun, quasi „Ö-Norm plus“ … Gerade bei Türbreiten und Wendezonen ist das wirklich wesentlich. Eine Tür muss mindestens 80 bzw. 90 cm breit sein, damit man mit einem Rollstuhl durchfahren kann. Wenn möglich, sollte sie etwas breiter sein. Wir möchten allen Besucherinnen und Besuchern einen unkomplizierten, selbstständigen, angenehmen Zutritt und vor allem Besuch im Universalmuseum Joanneum ermöglichen. Natürlich sind unsere Mitarbeiter/innen immer sofort zur Stelle und helfen, wenn Unterstützung gebraucht wird. Das gilt für alle Besucher/innen.

Wo ist Barrierefreiheit sichtbar?

Videos mit extrem schnellen Bildabfolgen können für Menschen mit Anfallskrankheiten gefährlich sein. Auf einem gut sichtbaren Leuchtkasten ist diese Warnung angebracht.

Hinweis für eine visuelle Installation im Space01

Da die Kunsthaus-Fassade aus Glas ist, muss dieses gekennzeichnet werden, damit man nicht versehentlich dagegen läuft. Viele sehen hier im musealen Bereich Probleme, da eine derartige Markierung unästhetisch wirken könnte, doch das Kunsthaus Graz beweist das Gegenteil: Wir bekleben die Glasfassade mit passenden Motiven der Ausstellung oder den Öffnungszeiten. Das stört niemand – man denkt, dass es dazugehört und genau so sollte das ganze Konzept der Barrierefreiheit sein: unauffällig und selbstverständlich, aber wirksam und sinnvoll.

Die Glasmarkierung und das taktile Kunsthaus-Modell

Gleich funktioniert die Sache mit den Informations- und Hinweisschildern wie WC-Beschriftungen oder Defibrillator-Kennzeichnungen auf der Straße und im Foyer. Das Verwenden von leicht verständlichen Piktogrammen ist wichtig. An den taktilen Leitlinien können sich nicht nur blinde und sehbehinderte Besucher/innen gut orientieren, der Weg zur Information und zum Shop ist so für alle Besucher/innen gut gekennzeichnet und unübersehbar. Außerdem bieten wir Leihrollstühle an. Dieses Angebot wird vor allem von Menschen mit temporären Mobilitätseinschränkungen und älteren Gästen in Anspruch genommen.

Die taktile Leitlinie, die ins Kunsthaus führt.

Was bringt Barrierefreiheit?

Jede Besucherin und jeder Besucher kann das gesamte UMJ-Angebot nutzen! So ist es nicht nur für Menschen mit Sehschwäche von Vorteil, wenn nicht dunkelgraue Schrift auf hellgrauem Untergrund steht, sondern Schwarz auf Weiß oder Gelb. Auch unsere Begleithefte sind für das gesamte Besucher/innen-Spektrum konzipiert: leicht lesbar für Kinder, Menschen, die Deutsch nicht als Muttersprache haben, oder Menschen mit Lernschwäche. Die Sprechanlage im Lift, die auffälligen Markierungen, die Sitzmöglichkeiten – all das erleichtert den Gästen den Aufenthalt und macht diesen angenehmer. Eine Sitzmöglichkeit wird nicht nur für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen aufgestellt: Nach einem langen Tag, an dem man die ganze Zeit auf den Beinen war, kann eine Sitzgelegenheit für alle eine Erleichterung sein – vor allem, wenn man ein Kunstwerk länger betrachten möchte.

Was sind Herausforderungen, denen man sich beim Planen von Barrierefreiheit stellen muss?

Wenn man von Beginn an die Barrierefreiheit miteinbezieht, gibt es meist keine zusätzlichen finanziellen Herausforderungen. Barrierefreiheit muss selbstverständlich sein und ist beim Bau eines Gebäudes und einer Ausstellungsgestaltung immer einzuplanen. Außerdem zieht die berühmte Kosten-Diskussion, die oftmals geführt wird, nicht, denn man öffnet so die Türen für viele Besucher/innen, die nicht kommen könnten, wenn man die Barrierefreiheit nicht beachtet. Außerdem gibt es die gesetzlich geregelten Ö-Normen, die man einhalten muss. In der EU leben mehr als 80 Millionen Menschen mit Behinderungen – sollen die etwa nicht das Museum besuchen können? Menschen mit Behinderungen sind gut vernetzt, und positive Mundpropaganda ist die beste Werbung. Im Museum kann man dem Alltag entfliehen, das sollte jedem Menschen möglich sein.

Gibt es auch spezielle, individuelle Umsetzungen der Barrierefreiheit?

Natürlich. Wir bieten Führungen für alle Menschen an. Bei Führungen für blinde Menschen spielt die Haptik eine große Rolle. Schon vorab wird mit den Kuratorinnen und Kuratoren besprochen, welche Objekte berührt werden dürfen. Kommt eine Gruppe gehörloser Menschen ins Kunsthaus, wird ein/e Gebärdendolmetscher/in gebraucht. Der Info-/Shopbereich und der Space04 sind mit einer induktiven Höranlage ausgestattet. Führungen für mit Menschen mit Lernschwierigkeiten finden in Leichter Sprache statt. Es geht nicht nur um Wissensvermittlung, sondern es wird auch das Augenmerk auf die Raumerfahrung gelegt. Assistenzpersonen bezahlen weder Eintritt noch Führung. Assistenzhunde sind im gesamten UMJ willkommen.

Schon beim Planen einer Ausstellung denken die Kuratorinnen und Kuratoren an die Barrierefreiheit. Es gibt auch Kunstwerke die nicht „barrierefrei sind“, da muss man sich was einfallen lassen. Kolleginnen und Kollegen, die gerade dabei sind, eine Ausstellung zu gestalten und vorzubereiten, fragen mich, ob das wie geplant umsetzbar ist.

Bist du mit dem derzeitigen Angebot zufrieden oder gibt es Erweiterungswünsche?

Grundsätzlich bin ich schon recht zufrieden. Besser geht’s natürlich immer noch. Besonders bedanken möchte ich mich bei all meinen Kolleginnen und Kollegen, die mich unterstützen. Uns allen ist die Wichtigkeit der Barrierefreiheit bewusst. Mein Wunsch wäre es, dass man gar nicht mehr über Barrierefreiheit reden muss, weil es keine Barrieren mehr gibt. In denkmalgeschützten Standorten ist es manchmal nicht machbar, alles barrierefrei umzusetzen. Aber es sollte immer die bestmögliche Lösung gefunden werden.

Was möchtest du noch all jenen mit auf den Weg mitgeben, die nicht auf ein barrierefreies Museum angewiesen sind?

Eigentlich nützt ein barrierefreies Museum jeder Besucherin und jedem Besucher, es bietet nur Vorteile! Um manche Umsetzungen verstehen zu können, muss selbst erfahren werden, wie es ist, auf Barrieren zu stoßen: Ist die Vitrine zu hoch? Der Weg zu eng? Das Licht zu grell? Was tun, wenn man müde ist und sich gerne hinsetzen würde? Rücksicht und Verständnis sind das A und O. Die Angst, dass Barrierefreiheit das Konzept (zer)stört, muss genommen werden. Dazu gehört auch, dass die „vorhandene Barrierefreiheit“ nicht gestört oder blockiert werden darf: keine Fahrräder auf den Leitlinien abstellen, kein Missbrauch der barrierefreien WC-Anlagen, die unterfahrbaren Bereiche nicht verstellen … Die Leute müssen sensibilisiert werden. Nicht nur im Kunsthaus – überall!

Damit auch ich mich besser in die Situation hineinversetzen konnte, gab Eva mir einen der Leihrollstühle und begleitete mich durch die Ausstellung „Connected. Peter Kogler with …“. Ich konnte feststellen, dass sogar für eine Rollstuhl-Anfängerin wie mich keine einzige Hürde vorzufinden war. Lift, Platz in der Ausstellung, Vitrinenhöhe etc. – alles war einwandfrei zu benutzen. Sie stellte mir auch Objekte vor, die sie bei einer Führung für blinde Menschen verwendet. So kann man ein Stück der Acrylglas-Skin des Kunsthauses und eine der Leuchtstoffröhren der BIX-Fassade berühren oder verschiedene Kunsthaus-Modelle mitsamt Umgebung ertasten. Man fühlt sich nicht benachteiligt oder ausgegrenzt, sondern sehr willkommen und gut aufgehoben. Auch die WCs, die sich in jedem Stockwerk befinden, sind barrierefrei und bieten auch genügend Platz für Personen mit Kinderwägen.

Die Ausstellung bietet genügend Platz zum Wenden mit einem Rollstuhl, der Inhalt der Vitrinen ist gut lesbar und die Vitrinen sind so konzipiert, dass sie unterfahrbar sind.

Der Blickwinkel in eine Vitrine vom Rollstuhl aus.

Eva mit einer der Leuchtstoffröhren, die in der Nacht den „Friendly-Alien“ zum Leben erwecken. Zum „Ertasten“ für alle …

Zum Schluss hatte ich auch die Gelegenheit, mit Lukas Schuster zu sprechen. Er arbeitet im Besucher/innenservice des Kunsthauses und sitzt selbst im Rollstuhl.

Wie findest du die Umsetzung der Barrierefreiheit hier im Universalmuseum Joanneum?

Im Kunsthaus finde ich das Angebot sehr toll. Nicht überall findet man eine so gute Umsetzung! Ich war schon bei mehreren Brandschutzübungen dabei und muss sagen: Im Ernstfall habe ich keine Angst, denn ich weiß, dass das Konzept hier auch für mich sehr gut funktioniert. Auch im Joanneumsviertel finde ich mich super zurecht und der Park im Schloss Eggenberg ist für mich jedes Mal ein tolles Erlebnis. Was mich außerdem sehr glücklich macht, sind die Kolleginnen und Kollegen: Wenn man was braucht, ist sofort jemand für einen da, und dafür bin ich wirklich sehr dankbar!

Text und Fotos: Alina Lerch

 

Entdeckungsreise durch die Ausstellung „Alfred Klinkan. Wasnichtallessorauskommt“

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Der Mitmachsack der Kunstvermittlung in der Neuen Galerie Graz ist wieder da: Das handliche Sackerl enthält alles, was du für eine spannende Reise in die kunterbunte Wunderwelt von Alfred Klinkan brauchst.

Im Begleitheft findest du Anregungen für deinen selbstständigen Ausstellungsbesuch: Überleg dir dein eigenes aufregendes Abenteuer, such mit dem Fernrohr nach seltsamen Wesen und finde die schrägsten Vögel in den Bildern der Ausstellung.

Mach dich auf Entdeckungsreise! Es ist ganz einfach: Den Mitmachsack kannst du dir im Foyer des Joanneumsviertels für die Dauer deines Ausstellungsbesuchs in der Neuen Galerie Graz gratis ausborgen.

Alfred Klinkan, Ohne Titel (Aus der Sommerserie), 1983. Neue Galerie Graz, UMJ 

Mehr zum Mitmachsack

Über die Ausstellung “Alfred Klinkan. Wasnichtallessorauskommt

Das Odilien-Institut zu Gast im Kunsthaus Graz

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Als wichtige Grazer Institution auf diesem Gebiet luden wir das Odilien-Institut ein, sich in einer sehr aktiven Form im Space03 zu präsentieren. Zahlreiche Tische und mechanische Maschinen, vorbereitete Bürstenstiele und Rosshaare fanden Einzug, um unseren Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit zum Binden einer eigenen Schuhputzbürste zu bieten. Erklärt wurde es jedem Einzelnen sehr geduldig und Schritt für Schritt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bürstenbinderei, die diese Tätigkeit ohne Augenlicht sehr erfahren durchführen. Auch die Feinflechterei war zu Gast, wo vor Publikum an einem aktuellen Stück gezeigt wurde, wie das komplizierte Thonetgeflecht zustande kommt. In vielen Gesprächen wurde erläutert, worauf man achten muss, damit der Sessel auch bequem wird.

Herzlichen Dank an Mag. Elisabeth Lorenz und Hannes Url-Grasser für die tolle Zusammenarbeit und den ermöglichten Erfahrungsaustausch.

https://odilien.at/odilien-institut/aktuelles/open-house-werken-im-kunsthaus/

https://www.museum-joanneum.at/kunsthaus-graz/ihr-besuch/programm/events/event/8681/open-house-2019-werken

 

 

Die ganze Stadt – Bauwelt Kongress 2019

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Neue Allianzen

Die Veranstaltung widmete sich Forderungen nach neuen Zentralitäten, diskutierte Strategien für den Umgang mit Superverdichtung, ging möglichen Verbindungen zwischen Peripherie und Zentrum nach, rückte Magistralen in die planerische Aufmerksamkeit, ohne soziale Gleichheit, die vitale Rolle von Nachbarschaften, Selbstversorgung und den Umgang mit Energien und Ressourcen aus den Augen zu verlieren. Deutlich wurde während der beiden Tage, dass es heute sehr schwierig geworden ist, Stadt zu planen, einfach weil die Vorstellungen und Erwartungen von Planenden, Politik, Kommunen, Immobilienwirtschaft sowie Bürgerinnen und Bürgern sehr unterschiedlich ausfallen. Dies kam vor allem in den Vorträgen von Philipp Rode, Executive Director of LSE Cities, London, und Mike Josef, Planungsdezernent Frankfurt a. M., deutlich zum Ausdruck. Eine enorme wirtschaftliche Perforierung des öffentlichen Raums, neue mächtige Allianzen zwischen Kommunen, Fondsgesellschaften, privaten (mehr oder weniger) philanthropischen Stiftungen und Unternehmen sowie wechselseitige Abhängigkeiten machen die Situation nicht einfacher. Machtverteilungen, räumliche Gerechtigkeit und mögliche Aneignungen des öffentlichen Raums im Verständnis verschiedener Akteurinnen und Akteure stellen vor neue Herausforderungen und bedürfen neuer Allianzen.

Die Esso-Häuser brauchen dich – Flyer © Planbude / Christoph Schäfer 2017

„Top-down“ und „Bottom-up“

Beim Kongress zeigte sich, dass „Top-down“- und „Bottom-up“-Prozesse künftig verstärkt zusammen gedacht werden müssen: Auch wenn der Wunsch nach schnellerer Durch- und Umsetzung immer wieder auftauchte, wurde klar, dass die Zeiten autoritärer Planung in den meisten europäischen Ländern unwiederbringlich vorbei sind. Anregende Beispiele waren „Critical Care: Plädoyer für eine Stadt des Sorgetragens“, vorgestellt von Angelika Fitz (Architekturzentrum Wien) und „Public Space as Found – Vom Hof Vague zur Freien Mitte“ von StudioVlayStreeruwitz, ebenfalls Wien. Es zeigte sich, dass es transparent formulierte Rahmenbedingungen braucht, die Prozesse der Verständigung und Annäherung zwischen den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren möglich machen. Für eine Gesellschaft, die zwar vielgestaltig und mehrstimmig  ist, aber dennoch Räume der Begegnung braucht.

Legomodell in Verwendung, 2014 © Planbude / Margit Czenki

Kunst und Stadtplanung

Mein Beitrag widmete sich partizipatorischen Kunstprojekten, die Stadtentwicklungsvorhaben begleiten. Im Unterschied zu den 1990er-Jahren sind Künstler/innen nun hellhöriger, wenn politische/ökonomische Interessen ins Spiel kommen. Die Sensibilisierung gegenüber potenziellen Einverleibungsversuchen künstlerischer Arbeit hat definitiv zugenommen. Künstler/innen setzen heute gezielt auf systemische Interventionen, suchen das direkte Gespräch mit Kommunen, Politik und Investoren und fordern klassische Planung auf verschiedenen Ebenen mit eigenen „Planungstools“ sehr kreativ heraus. Mitunter sehr erfolgreich, wie die Aktivitäten der PlanBude in Hamburg zeigen: Diese initiierte im Paloma-Viertel in Hamburg einen mehrjährig angelegten Bürger/innen-Beteiligungsprozess, der die Grundlage für den nachfolgenden städtebaulichen und hochbaulichen Wettbewerb bildete, also konkrete Effekte zeitigte.

Rotor Brüssel

Nach meinem Vortrag sprach Maarten Gielen von Rotor aus Brüssel. Wir bildeten sozusagen ein „Kapitel“ zum Thema Metabolismus, hier allgemein verstanden als „Umwandlung“, „Veränderung“. Rotor zeigt, dass Nachhaltigkeit beim Bauen möglich ist, und auch, wie überzeugend man Materialien recyclen kann. Forschen und Publizieren nehmen dabei einen ebenso wesentlichen Stellenwert ein wie das Bauen selbst. Den Abschluss unserer beiden Vorträge bildete eine Partnerdiskussion. Dabei kam die Frage auf, ob es naiv sei, an die Kraft zur (positiven) gesellschaftlichen Veränderung zu glauben, bedenkt man, dass Abhängigkeiten zwischen Kommunen und privaten Finanziers zugenommen haben und mächtige Player Richtlinien definieren, die das Gemeinwohl wenig bis gar nicht im Auge haben. Die beiden Tage betrachtend hatte ich den Eindruck, dass sich die Kräfte in einer Art prekären Balance halten, also zwischen jenen, die den Status quo fortschreiben wollen, und jenen, die sich eine Welt jenseits dessen, was ist, vorstellen können.

egami – Zur Ausstellung von Christian Helbock im Palais Thurn und Taxis in Bregenz

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Wolfgang Tillmans, MMK Frankfurt, Foto: Christian Helbock

Das Palais Thurn und Taxis

Das Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis wurde im Jahre 1848 erbaut (es hieß ursprünglich Villa Gülich) und ist seit 1953 Sitz der Berufsvereinigung bildender Künstlerinnen und Künstler Vorarlbergs. Im Haus finden monatlich wechselnde Ausstellungen statt. Die Villa ist umgeben von der schönsten Parkanlage der Stadt. Diese wurde nach der Erweiterung des Areals 1887 von Gustav Prinz von und zu Thurn und Taxis angelegt. Der botanische Garten umfasst rund 6.700 m².

Nationalmuseum Sarajevo, Foto: Christian Helbock

Sammlung Beyeler, Foto: Christian Helbock

Die Ausstellung

Christian Helbock widmet sich in der Ausstellung den verschiedenen Kunsträumen. Seine Fotografien von Museen und anderen Kunstinstitutionen beziehen sich auf institutionelle Ausstellungspraxen und Displays. Helbock hat ein großes Gespür, Kunstwerke und ihre institutionelle (Re-)Präsentation fotografisch so zu fassen, dass nicht nur die ausgestellten Werke, sondern auch Begleitumstände des Zeigens in den Blick geraten. Im Prinzip handelt es sich um eine institutionelle Recherche mit Mitteln der Fotografie. Die Fotografien sowie verschiedene Artefakte werden in präziser Weise zueinander im Raum platziert.

Im Rahmen der Ausstellung begegnen wir auf diese Weise direkt und indirekt Arbeiten von Sigvard Bernadotte / Acton Bjørn, Olaf von Bohr, Anna Castelli Ferrieri, Joe Colombo, Heinrich Dunst, Félix González-Torres, Sanja Iveković, Christian Jankowski, Friedrich Kiesler, Gert Lange, Karl Lagerfeld, Rafa Prada, Susan Philipsz, Susanna Rade, Tobias Rehberger, Jason Rhoades, Michael Riedel, Björn Roth / Dieter Roth, Gregor Schneider, Franz West und Heimo Zobernig. Dazu sind Objekte zu sehen, die Helbock zusammengetragen hat, darunter auch einige Möbelstücke aus seinem Besitz sowie geometrische Arbeiten und Farbuntersuchungen. Eine wichtige Rolle spielen Videogespräche, die er mit Künstlerinnen und Künstlern sowie Kuratorinnen und Kuratoren im Laufe verschiedener Projekte über die Jahre geführt hat.

Christian Helbock

Führung durch die Ausstellung, Foto: Christian Helbock

Interessant fand ich, dass die Ausstellung selbst zum künstlerischen Instrument wird. Sie ist im Grunde genommen eine Versuchsanordnung, die museale Präsentationsformen und Ordnungen mit subjektiven Formen der Aneignung und Einverleibung verbindet. Am 6.2. habe ich zu Räumen des Ausstellens gesprochen – in der Ausstellung. Wir haben einfach ein wenig umgebaut!

Vortrag, Foto: Christian Helbock

E G A M I  >>> I M A G E

Und falls sich nun der/die eine oder andere fragt, was der Titel bedeuten soll: Egami heißt Image (englisch für Bild, Abbild, Darstellung), rückwärts gelesen. Helbock befasst sich seitdem er künstlerisch tätig ist mit Fragen des Bildes: was ist ein Bild (gerade noch), wie entsteht es, wie lässt es sich übersetzen, beziehungsweise, lässt es sich überhaupt übersetzen. Auch interessiert sich der Künstler für die Rückseite des Bildes, weil diese immer auch etwas von seinem Kontext verrät. Sein Interesse erstreckt sich im Übrigen auch auf die „Rückseiten“ der Institution und deren „unterbelichteten“ Teilen.

 

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