BIX und Inhalte
Elisabeth Schlögl (ES): Vor gut einem Jahr war der Medienkünstler Onur Sönmez im Kunsthaus zu Gast und sein Satz geht mir nicht mehr aus dem Kopf: „There is a lack of content. They install them and then what?“ (siehe Blogbeitrag, 29.04.2019). Er bezog sich auf die Installierung sogenannter Medienfassaden an Kunst- und Kulturhäusern, die in der Regel nicht wie herkömmliche Medienfassaden an Stadthallen oder öffentlichen Plätzen für Werbezwecke eingesetzt werden.
Barbara Steiner (BS): Onur Sönmez hat recht. Ich kann mich noch erinnern, als in den 1990er-Jahren die ersten „Medienfassaden“ installiert wurden. Es war ein regelrechter Hype, die Erwartungen waren enorm. Aber komischerweise nicht den Inhalt betreffend, sondern in Bezug auf das, was sie technisch können oder können sollen. Diese Fokussierung auf die Technik hatte schon auch kommerzielle Begehrlichkeiten im Blick, denn viele dachten sofort an Sponsoring, daran, dass kommerzielle Botschaften möglichst gut sichtbar sein sollten. Als inhaltliches Tool – also für Künstler/innen – wurde es nicht in erster Linie gedacht. realities:united haben unsere BIX von Anfang an in erster Linie als künstlerisches Tool gesehen.
ES: Ich meine nicht, dass unsere BIX-Projekte diesen inhaltlichen Mangel aufweisen. Wir docken die BIX-Projekte an das inhaltliche Programm an. Ich verstehe die BIX – wie realities:united auch – als ein Tool, um unser Tun in den Stadtraum zu erweitern. Und damit meine ich natürlich nicht, die Ausstellung oder eine Veranstaltung mittels Text anzukündigen. Es gab seit 2003 viele BIX-Projekte, die Teil einer Ausstellung waren – in dem Sinne, dass eine Künstlerin oder ein Künstler der jeweiligen Ausstellung eingeladen wurde, auch die BIX-Fassade zu „bespielen“. Des Weiteren gab es eine Reihe von Projekten, die das Medium BIX formal reflektierten und Site-specific-Werke produzierten. Daneben stehen einige interaktive Projekte, die Passantinnen und Passanten einluden mitzugestalten, was auf der Fassade sichtbar wird – man findet das alles in unserem Webarchiv. Und trotz alledem gebe ich Onur Sönmez auch bei unserer BIX mit seiner Behauptung Recht, wenn er sagt: „there is a lack of content“. Denn welche dieser inhaltlichen und formalen Konzepte nehmen Passantinnen und Passanten wahr, wenn sie mit Einbruch der Dämmerung auf die leuchtende Fassade schauen?
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BIX-Fassade, LichtTelegramm,, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner
BS: Nun, die Passantin oder der Passant sieht zunächst etwas, das sie oder er dem eigenen Erfahrungshorizont entsprechend verortet. Und das fällt vermutlich sehr unterschiedlich aus. Wir wissen also nicht, wie viel von dem, was der Künstlerin oder dem Künstler wichtig ist, auch ankommt. Das ist aber bei anderen Kunstwerken letztendlich auch so. Was ich sehe, ist, dass auf der BIX keine Werbung läuft. Ich sehe auch, dass die Auflösung sagen wir mal „grob pixelig“ ist – inzwischen sind ja schon einige Punkte aus Altersgründen ausgefallen –, dass diese „Medienfassade“ ziemlich „outdated“ ist. Und das war sie ja absichtsvoll bereits 2003: geringe Auflösung und der Verzicht auf Farbe. Es wird mir eben kein mediales Spektakel geboten. Und das macht einen riesigen Unterschied. Die BIX sollte immer kommerziell unattraktiv sein, und das ist sie auch. Das macht sie aber für Künstler/innen umso spannender, weil die BIX ein Gegenüber ist, auf das man sich einlassen muss – ein Sparring-Partner für diejenigen, die dort etwas machen wollen. Das führt zu dem, was man sieht, und das ist nicht vergleichbar mit dem, was auf Medienfassaden üblicherweise läuft. Diese Erfahrung der Differenz ist wichtig.
BIX und Differenzierungsschwierigkeiten
ES: Ich rede gerne mit Menschen über die BIX-Fassade. Viele haben ein Bild von ihr im Kopf. Nicht wenige sind erstaunt darüber, dass es künstlerische Projekte sind, die wir an der Kunsthausfassade zeigen. Vor ein paar Monaten erschien die Studie „Signaling Smartness: Smart Cities and Digital Art in Public Space“, die untersuchte, inwiefern digitale Kunstwerke im öffentlichen Stadtraum als wesentliche Vorzüge einer Smart City anerkannt werden. Als Beispiel wurde die BIX herangezogen, es wurde sogar in Graz dazu empirisch geforscht. Selbst diese Wissenschaftlerin, die sich eingehend mit dem Kunsthaus beschäftigte, hatte Differenzierungsschwierigkeiten. Ihr gelang es nicht zu unterscheiden, was die BIX zur BIX macht. Das heißt, dass sie einerseits aus der Infrastruktur besteht (Küchenlampen hinter Kunststoffplatten auf der Fassade, Strom, eine Software), die realities:united konzipierten, und künstlerischen Arbeiten, die abwechselnd an der Fassade gezeigt werden. Ich echauffiere mich keinesfalls darüber. Ich habe Verständnis dafür und kann es sehr gut nachvollziehen, dass diese Differenzierung nicht wahrgenommen werden kann.
BS: Ist das nicht das Spannende? Dass die BIX selbst ein künstlerisch-architektonisches Projekt ist, das von anderen künstlerisch genutzt werden kann? Dass realities:united die Grundlagen so angelegt haben – keine Farbe, kein LED, keine hohe Auflösung –, dass tatsächlich alle, die mit der BIX arbeiten, immer wieder an diese Grundlagen herangeführt werden, sich damit befassen müssen? Das kommt ihrem Gedanken einer Grundlagenforschung, den sie sich für die BIX wünschten, schon sehr nahe.
ES: Dass realities:united auf die beste technische Umsetzung verzichteten, um die BIX möglichst unattraktiv für Werbezwecke zu machen, führte auch dazu, dass das, was auch immer an der BIX gezeigt wird, nicht erkennbar ist – außer Schrift, dafür braucht man aber ausreichend Zeit und Geduld, was im Stadtraum selten gegeben ist. Gegenständliches wird abstrakt. Abstraktes bleibt abstrakt. Der Auftrag von realities:united ist es, anhand der BIX zu untersuchen, wie ein Werbemedium wie eine Medienfassade künstlerisch und kommunikativ anders genutzt werden kann.
BS: Ich denke, dass diese Vorgabe reizvoll sein kann, weil es Einschränkungen gibt. Vor Kurzem kam mir ein Bild unter, bei dem ein Bildredakteur einer Zeitung das undeutlich erkennbare Wort „Danke!“ offensichtlich grafisch nachbearbeitet hat, sodass es deutlicher lesbar wurde. Man war offensichtlich unzufrieden mit der Leistung der BIX. Ich denke, es ist nötig, sich als Künstler/in mit den Einschränkungen zu befassen. Nur dann kann das Ergebnis spannend sein.
ES: Tatsache ist aber auch, dass die BIX doch immer wieder für Ankündigungen oder sogenannte „Botschaften“ verwendet wird. Häufig „unterbrechen“ diese Ankündigungen, zum Beispiel Laufschriften, künstlerische Projekte. Die Passantin oder der Passant, sollte sie oder er sich zwei Minuten Zeit nehmen, um vor der Fassade stehenzubleiben und mitzulesen, unterscheidet nicht, ob es eine Ankündigung oder ein künstlerisches Projekt ist. Ich glaube, dass es hier eine kontinuierliche Trennung braucht, das sind wir allen künstlerischen Projekten schuldig. Ganz gleich, ob Werbung oder Nicht-Werbung über die Fassade läuft: Wenn Passantinnen und Passanten nicht erkennen können, was zu sehen ist, was spielt es dann für eine Rolle? Wer schaut auf unserer Webseite nach, um zu erfahren, was auf der Fassade zu sehen ist? Interessiert es die Menschen überhaupt, was da oben läuft?
BS: Ich teile deine Einschätzung, dass Ankündigungen oder Botschaften auf der BIX, die keine künstlerische Arbeiten sind, dort keinen Platz haben sollten. Es ist ein Prozess, auf unsere Kooperationspartner einzuwirken, die BIX ausschließlich künstlerisch zu nutzen. Im einen oder anderen Fall waren wir durchaus schon erfolgreich. In den letzten Jahren haben wir die BIX wieder mehr in Richtung Kunstprojekte gezogen. Ich würde mir wünschen, dort nur Kunstprojekte laufen zu lassen.
BIX und Menschen
ES: Klaus Pröpster, der das Projekt Dein Name auf der Kunsthausfassade umsetzte, meinte, dass die BIX dann Aufmerksamkeit bekommt, wenn sie etwas mit den Menschen zu tun hat. Die Idee, Menschen einzuladen, ihren Namen auf die Fassade des Kunsthauses zu schreiben, ist super simpel. Das Projekt ist auf großes Interesse gestoßen. Die Zeitslots, die vergeben wurden, um seinen Vornamen über die BIX zu schicken, waren innerhalb weniger Tage ausgebucht. Ich mochte den Zuspruch und die Aufmerksamkeit, die dieses Projekt bekam. Es gab auch einen inhaltlichen Link zur damals aktuellen Ausstellung von Jun Yang, der unter anderem Identität, Künstlersubjekt, Einzigartigkeit, Authentizität thematisierte. Spätestens seit dem BIX-Projekt von Klaus Pröpster frage ich mich, was hat die BIX – was hat das Kunsthaus – mit den Menschen zu tun? Was können wir machen, damit sich die Menschen dafür interessieren, was auf der BIX – und damit am größten Medienscreen der Stadt – läuft?
Katia Huemer: Ich glaube, das Namensprojekt ist ein gutes Beispiel dafür, dass die einfachsten Ideen, gepaart mit einem interaktiven Element, auf der BIX am besten funktionieren. Das hat meiner Meinung nach mehrere Gründe: Zum einen, weil – wie du ja sagst – die Menschen nicht lange davor verweilen, um sich Kunstprojekte anzusehen, die meisten nehmen die Fassade im Vorbeigehen war. Wenn also nicht schnell und klar erkennbar ist, was da gerade läuft, beschäftigt sich niemand damit. Das andere ist eben die von realities:united so gewollte technische Simplizität – an/aus, hell/dunkel, große Pixel. Daraus ergibt sich ein schematisches Bild. Mehr kann die Fassade nicht und soll sie auch nicht können. Das Konzept hat gute Gründe, schränkt aber natürlich auch ein, denn ein komplizierter aufgebautes Bild kann nicht wahrgenommen werden, Farben und Ton gibt es auch nicht. Und drittens: Wer träumt nicht davon, sich einmal in irgendeiner Form groß und auffällig in den Stadtraum einzuschreiben?
Martin Grabner: Spannend und erwähnenswert ist doch, dass die BIX als das materiell statischste und immobilste Element des Kunsthauses jetzt, da alle Ausstellungen Corona-bedingt schließen mussten, der einzige physische Ort bleibt, an dem visuelle Kunst kommuniziert werden kann. Und gemeinsam mit den permanenten Klanginstallationen am Kunsthaus und den temporären Arbeiten von Bill Fontana einen multisensualen Kunstort im Stadtraum etabliert. Den einzigen derartigen Ort der Stadt.
BIX und Zukünftiges
ES: Ich blieb mit Onur Sönmez in Kontakt und habe ihn eingeladen, ein Projekt für die BIX zu machen. Seine erste Idee ist es, den Strom für die BIX mittels Sonnenenergie zu erzeugen. Das hätte zur Folge, dass die BIX nur dann leuchtet, wenn genug Strom produziert wurde. Diese Idee streift Themen wie Klimawandel und Lichtverschmutzung, aber auch die Selbstverständlichkeit von Licht in der Stadt. Mir gefällt die Idee. Tatsächlich ist es so, dass mein Kollege Andreas Graf, der die BIX technisch betreut, Anrufe erhält, wenn sie mal nicht an ist. Das heißt, es gibt die Erwartung, dass auf der Fassade etwas läuft. Wenn ich abends auf dem Schlossberg bin und auf die Stadt schaue, ist das Kunsthaus mit der leuchtenden BIX der Eyecatcher – ok, ich bin nicht ganz unvoreingenommen … Ist es den Menschen wirklich egal, was auf der Kunsthausfassade zu sehen ist? Was wäre, wenn wir ein halbes Jahr lang Zeitslots verkaufen würden, in denen die Menschen bestimmen könnten, was zu sehen ist? Mit den Einnahmen würden wir für die zweite Jahreshälfte neue BIX-Projekte finanzieren. Es wäre ein waghalsiges Projekt und trotzdem reizt es mich.
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Onur Sönmez, Foto: Ines Handler
BS: Ich finde den Vorschlag von Onur Sönmez hervorragend, dass die BIX nur dann leuchtet, wenn genug Strom produziert wird, genau wegen der von dir erwähnten Selbstverständlichkeit, nicht nur von Licht in der Stadt, sondern auch der BIX selbst. Sie ist ein wenig wie ein Verwandter, mit dem man sich nie wirklich unterhalten hat, der aber fehlt, wenn er plötzlich nicht mehr zu den Familientreffen kommt. Da die BIX ja inzwischen saniert werden muss, und das ziemlich teuer wird, kann es gut sein, dass sie einmal von heute auf morgen dunkel bleibt. Deshalb gefällt mir auch deine Idee mit den Zeitslots. Vielleicht müssen wir sogar bald darauf zurückgreifen. Und wir könnten kommerzielle von künstlerischen Projekten zeitlich klar trennen. Reizvoll erscheint mir, dass kommerzielle Botschaften niemals wirklich überzeugend funktionieren werden – wegen der Einschränkungen, die realities:united eingebaut haben.